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Stichwort |
DOI: 10.14623/wua.2025.3.98-102 |
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Michael Höffner |
Correctio fraterna des zornigen Jesus? |
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Jüngst wurde die Fachwelt durch einen spektakulären Fund überrascht, einen Brief, der inzwischen unter dem Titel „Epistula ad Nazarenum iratum“ firmiert. Autor ist der Philosoph Seneca, Adressat der Nazarener Jesus; Anlass ist explizit die auch in den vier Evangelien überlieferte Tempelreinigung. Der Mainstream der Forschung wagt deshalb eine Datierung auf das Frühjahr 33 n. Chr.:
„Mein lieber Jesus von Nazareth, anders als mein Bruder Novatus hast Du mich zwar nicht aufgefordert zur Abfassung einer Schrift über die Mittel, durch die man den Zorn beschwichtigen könne; aber nach dem, was jüngst aus dem fernen Jerusalem hierher als Kunde nach Rom gedrungen ist, hättest Du, wie mir scheint, allen Grund dazu, gerade diese Leidenschaft zu fürchten, die unter allen die widerwärtigste und rasendste ist. Was für ein Bild hast Du da geboten, als Du die armen Händler aus dem Hof des Tempels getrieben und ihre Tische umgestoßen hast. Mit einer Geißel! Die Augen flammten und blitzten, das ganze Antlitz war hochgerötet durch den Andrang des aus dem tiefsten Herzen emporquellenden Blutes, die Lippen zitterten, die Zähne pressten sich zusammen. Es war, wie man mir zuverlässig überbrachte, das entsetzliche Aussehen eines sich selbst entstellenden Menschen. Womöglich bist Du blind dem gewiss ehrwürdigen Aristoteles gefolgt, der behauptet ,Der Zorn ist unentbehrlich; er muss die Seele erfüllen und den Geist anfeuern.‘ Das ist nicht richtig! Der Zorn ist ein Fehler der Seele! So sehe ich mich genötigt, Dich, den Fehlenden, zu bessern durch Mahnung. Bedenke dies: ist die Seele einmal in Bewegung gesetzt und aus dem Gleichgewicht gekommen, so wird sie zur Dienerin dessen, der auf sie einwirkt. Bei manchen Dingen liegen die Anfänge noch in unserer Hand; im weiteren Verlaufe aber reißen sie uns mit sich fort und machen den Rückzug unmöglich. Der beste Rat ist es, die erste Regung des Zornes auf der Stelle von sich zu weisen und seine Angriffe gleich im Keime zu ersticken und alles daranzusetzen, nicht in die Gewalt des Zornes zu kommen. Denn hat er einmal angefangen uns vom rechten Wege abzuziehen, so ist es übel bestellt um die Rückkehr zum Seelenheil, weil die Vernunft nichts mehr zu sagen hat, wo die Leidenschaft einmal ihren Einzug gehalten hat, und wo ihr mit unserer Einwilligung ein gewisses Recht eingeräumt worden ist. Hab also in Zukunft mehr acht auf Dein Seelenheil, lass Deine Vernunft Herrin sein, nicht deine Leidenschaften, geschätzter Jesus, und wehre den Anfängen des Zornes (obsta principiis irae).“
Seneca versus Jesus
Auch wenn von den sich überlappenden Lebensdaten her ein solcher Brief Senecas an seinen Zeitgenossen Jesus von Nazareth historisch durchaus möglich gewesen wäre, werden Kenner:innen – vielleicht schmunzelnd – gemerkt haben, dass sie aufs Glatteis geführt wurden. Der Brief ist kein Sensationsfund, sondern fiktiv – und doch gewissermaßen authentisch. Denn er schöpft in etlichen Formulierungen aus der echten Schrift „De ira“, die Seneca in den 40er Jahren für seinen älteren Bruder Novatus verfasst hat und mit der er ihm nahelegte, gegenüber dem Zorn, den er nur negativ einschätzt, Impulskontrolle einzuüben.
Der marginalisierte Zorn
Jesu Hält man das dreiteilige Werk „De ira“ neben die Evangelien, drängt sich der Eindruck auf, dass Seneca und Jesus in puncto Zorn nicht auf einer Wellenlänge lagen. Seneca hätte tatsächlich Grund zu einer – wohltemperierten! – correctio fraterna sehen können. Denn Jesus zeigt sich in den Evangelien nicht als stoischer Weiser, der in ataraxia unberührt über den Dingen steht. Die Tempelreinigung stellt zwar die spektakulärste Zornesäußerung dar, aber keineswegs die einzige. Mitunter riskiert Jesus kraftvolle Ausdrücke, um zu provozieren und aufzuwecken: Gräber, von außen schön getüncht, innen aber voller Verwesungsgeruch, Heuchler, Nattern und Schlangenbrut (Mt 23,27 ff.). Selbst seinem „inner circle“ kann er deutlich die Stirn bieten, wenn es von der Sache her angezeigt ist. Als Petrus ihn von seinem Weg nach Jerusalem abbringen will, herrscht er ihn an mit „Satan, hinter mich“ (Mt 16,23). In der Synagoge sieht er die verstockt und verhärtet Schweigenden an „voll Zorn und Trauer über ihr hartes Herz“ (Mk 3,1–6). Mitunter lässt ihn die erfahrene Abwehr gereizt reagieren: „Warum rede ich überhaupt noch mit euch?“ (Joh 8,25).
Nicht selten hat sich das theologische Bemühen um ein eindimensionales, glattes und in allem stimmigen Gesamtbild Jesu mit diesen Passagen schwergetan; für die an Spannungsfreiheit interessierten Systematiker waren sie irritierend. Weil sie etwa mit der Seligpreisung der Gewaltlosen in der Bergpredigt nicht leicht harmonierten, wurden sie zur crux interpretum. Posthum wurde Jesus tatsächlich eine correctio zugemutet, indem man mit spekulativer Zudringlichkeit das Jesusbild um die zornigen Züge bereinigte und seine Liebe weichzeichnerisch als blutleere Sanftmut deutete, oder indem man im trinitarischen Drama eine Art Rollenteilung vornahm, die den (gerechten) Zorn dem göttlichen Vater zuschrieb und den Sohn als den sah, der sich ihm aussetzt, den väterlichen Zorn so von der Welt auf sich ableitet und dadurch wie ein Blitzstrahl zerspaltet. [...]
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