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Stichwort DOI: 10.14623/wua.2025.1.2-4
Xaver M. Propach
Geist
Kaum ein deutsches Wort ist derart bedeutungsschwer und facettenreich wie das Wort „Geist“. Selbst philosophische Giganten wie Max Scheler (1874–1928) und Immanuel Kant (1724–1804) sagten über ihn: „Was aber ist jener ‚Geist‘, jenes neue und so entscheidende Prinzip? Selten ist mit einem Worte so viel Unfug getrieben worden – einem Worte, bei dem sich nur wenige etwas Bestimmtes denken.“ Bzw. „[I]ch weiß nicht einmal, was das Wort Geist bedeutet. Da ich es indessen oft selbst gebraucht oder andere habe brauchen hören, so muß doch etwas darunter verstanden werden, es mag nun dieses Etwas ein Hirngespinst oder was Wirkliches sein.“ Nach solchen Worten zweier großer Gelehrter ist jeder Mut hinweggerafft, auch nur etwas halbwegs Substanzielles zum Wesen des Geistes beitragen zu können. Und so begnüge ich mich mit einigen wenigen philosophiehistorischen Randbemerkungen.

Wirkmächtige biblische Traditionen

Holzschnittartig lassen sich die beiden wirkmächtigsten Traditionen, aus denen die abendländische Kultur hervorging – die biblisch-jüdische und die hellenistische – durch ihre beiden Begriffe von Geist charakterisieren: רוַּּ ת (ruaḥ) und νοῦς (nous). Gott schenkt die ruaḥ, wenn er den Menschen erschafft, sie schwebt bei der Schöpfung über den Wassern, mit ihr zerbricht Gott die Schiffe von Tarschisch, sie wird gesät und Sturm wird geerntet und alles ist Eitelkeit und Haschen nach der ruaḥ. Als Wind und Sturm steht die ruaḥ also einerseits für das Dynamische, das Bedrohliche und Zerstörerische, als Odem und Atem andererseits für die Lebenskraft. Der nous dagegen ist in Platons Liniengleichnis der höchste Seelenanteil, mit dem wir intuitiv, durch theoria, die Ideen schauen, erkennen und erfassen. Er steht für Intelligibilität, Vernunft und Klarheit.

Im Neuen Testament taucht der Geist, ganz in der Tradition des Alten, als Sturm und Wind auf. So heißt es in der Apostelgeschichte: „Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.“ Offensichtlich unfähig, aus Fehlern zu lernen, ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich mich mit Hoffnung und Vertrauen auf die Wetterapp meines Handys verlasse, von der ich doch bisher in den allermeisten Fällen enttäuscht wurde, weil selbst modernste Meteorologie nicht in der Lage ist, das Wetter samt Wind zuverlässig genau vorherzusagen. Dass die neutestamentlichen Autoren u. a. den Wind als Metapher des Heiligen Geistes verwenden, ist daher wohl kein Zufall: Wie der Wind entzieht sich auch der Geist unserer Berechenbarkeit. Man kann ihn im wahrsten Sinn des Wortes nicht fassen und verstehen, lediglich durch die Wirkungen, die er hervorbringt – in der Seele des Menschen und in der Kirche. Der unfassbare Wind als Metapher für den Geist führt die Tradition der alttestamentarischen ruaḥ als Dynamisierungs- und Schöpferkraft fort. Im Johannesevangelium dagegen trägt er Züge des nous. Wenn der Evangelist schreibt: „Und wenn er [der Tröstergeist] kommt, wird er der Welt die Augen auftun [ἐλέγξει] […]. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit [τὸ πνεῦμα τῆς ἀληθείας], wird er euch in aller Wahrheit leiten.“ Der Geist schärft den Blick für die Wahrheit der Wirklichkeit (Gottes) und schafft damit Klarheit.

Nicht nur Lebenskraft, sondern auch Person


Bei aller Kontinuität zur alttestamentarischen ruaḥ und zum nous bringt das Christentum doch etwas radikal Neues im Hinblick auf den Geist: Er ist nicht bloß dynamische Lebenskraft oder Prinzip der Erkenntnis, sondern er „ist selbst ein Angesicht“, eine Person, deren Name nach Thomas von Aquin (1225–1274) Liebe (amor) ist, denn wie die Liebe, so sorgt der Heilige Geist dafür, dass Seiendes wahrhaft eins sein kann – nämlich dafür, dass der Vater und der Sohn zwar zwei Subsistierende, aber doch eines Wesens und eines Lebens sind.

Unser menschlicher Geist ist diesem Geist Gottes ähnlich, denn auch wir sind durch ihn in der Lage, die Vielfältigkeit der Welt (von der Gott nicht bloß wollte, dass sie da sei, sondern, dass sie erkannt werde) zu einer – freilich noch fragmentarischen – Einheit im Erkennen zu führen. Im Akt dieser zur Einheit bringenden Erkenntnis des Geistes wird der Geist selbst zu einem Spiegel des Universums, sodass Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) in seiner 1686 verfassten Schrift Discours de Métaphysique zurecht schreiben kann, dass „[e]in einziger Geist […] der ganzen Welt [gleicht], weil er sie nicht nur ausdrückt, sondern auch erkennt“. In der Erkenntnis von Welt, die dem menschlichen Geist zu eigen ist, drückt sich für Leibniz die Gottebenbildlichkeit am deutlichsten aus. Und so kann er in seinem Spätwerk, der Monadologie, den menschlichen Geist auch sehr pointiert und zutreffend als „petite divinité“, als kleine Gottheit, bezeichnen.

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