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Leseprobe 3 DOI: 10.14623/wua.2024.2.75-80
Hannah Jacobi
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Zur Politik der iranischen Gegenwartskunst
Als Ende September 2022 in Iran die revolutionäre Bewegung unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“ nach dem Mord an Zhina Mahsa Amini begann, hatte das auch für die iranische Kunstszene gravierende Folgen. Alles stand still, die Galerien blieben geschlossen, es fanden keine Ausstellungen, keine Messen, keine Veranstaltungen statt. Die Kunstschaffenden und Kulturarbeiter*innen in Teheran, aber auch in anderen Städten in Iran, wollten und konnten nicht zur Normalität zurückkehren. ‚Business as usual‘ hätte die Proteste und die Toten verhöhnt und dem Regime in die Hände gespielt, so der Tenor. Wer konnte, ging auf die Straße, Künstler*innen und Designer*innen entwarfen Plakate, viele posteten über die Proteste oder protestierten auf Instagram und Twitter (heute X), vor allem an Kunstuniversitäten fanden Aktionen und Performances statt, welche die revolutionäre Bewegung unterstützten.

In der Debatte um Sinn, Rolle und Wert der zeitgenössischen Kunst und Kunstszene in Iran ließen sich in den nachfolgenden Monaten zwei bemerkenswerte Entwicklungen feststellen: Auf der einen Seite die Frage, was der Kunstbetrieb und die zeitgenössische Kunst zur revolutionären Bewegung beitragen können. Galerieräume wurden für Treffen, für den Austausch und die gegenseitige Unterstützung zur Verfügung gestellt und genutzt. Kulturarbeiter*innen versuchten, Geld für Künstler*innen, die in prekäre Situationen geraten waren, sowie für afghanische Arbeiter*innen, die in vielen Galerien tätig sind und welche die Situation noch einmal auf ganz andere Weise hart traf, zu sammeln. Nicht nur wurde die Rolle der Galerien in der Gesellschaft kritisch hinterfragt, sondern auch der Sinn und Zweck der künstlerischen Produktion selbst. Für wen wird Kunst gemacht und in welchem Kontext? Welche gesellschaftliche und politische Bedeutung hat sie, welchen Einfluss kann sie nehmen?

Auf der anderen Seite wurde die Kunstszene gewissermaßen demokratisiert. Damit meine ich ein Abrücken von hierarchisierenden und ausschließenden Definitionen von Kunst. Führte ich selbst zuvor noch Diskussionen mit Kulturarbeiter*innen in Iran über zeitgenössische Kunst, in denen es um die Frage ging, ob Genres wie Aktionskunst, Performance und konzeptuelle Ansätze im iranischen Kontext zur zeitgenössischen Kunst dazugehören, ob sie also wirklich als Kunst zu bezeichnen sind, so wurde nun jede und jeder zur Künstler*in: Jede Geste (etwa die des Haareabschneidens), jede Performance, jeder gesprühte Slogan und jedes Poster wurde zur revolutionären Kunst. Die Kunst brachte sich in die politische Bewegung ein, und das wollten die Menschen sehen. Jedoch ist die Vereinnahmung der Kunst im revolutionären Kontext und ihre damit einhergehende Demokratisierung, wie ich es hier nenne, nur eine Facette der komplexen Beziehung zwischen Kunst und Politik. In dem vorliegenden Text werde ich verschiedene Ebenen einer „Politik der iranischen Gegenwartskunst“ vorstellen, besprechen und hinsichtlich der Freiheit künstlerischen Schaffens in Iran befragen.

Das Dilemma der Propaganda


Geht es um die Vereinnahmung von Kunst für die Politik, ist es naheliegend, auf die Propaganda zu schauen. Um zu skizzieren, was ich hier als das „Dilemma der Propaganda“ bezeichne, möchte ich in der vorrevolutionären Zeit, den 1960er und ’70er Jahren beginnen. Der Blick auf den Kontext der künstlerischen Avantgarde dieser Jahre soll dazu dienen, über staatlich geförderte Kunst in Pahlavi-Iran zu sprechen sowie über die Mitwirkung der Künstler*innen am nationalen Projekt des Regimes.

Die Diktatur Mohammad Reza Shah Pahlavis war zu dieser Zeit auf ihrem Höhepunkt, Iran als moderner Staat international anerkannt, mit mächtigen westlichen Verbündeten. Das nationale Selbstverständnis des Pahlavi-Staates, das sich zwischen der glorreichen, antiken Vergangenheit des Persischen Reichs und der glorreichen Zukunft eines modernen Nationalstaats, einer konstitutionellen Monarchie, bewegte, spiegelte sich auch in der Kulturpolitik des Landes wider. Neben vielen weiteren Bereichen wie Archäologie, Film, Theater, höhere Bildung und traditionelle Künste wie die Miniaturmalerei und Kalligrafie wurde die modernistische Avantgarde in der Malerei und Bildhauerei von staatlicher Seite massiv unterstützt. Stipendien für Auslandsaufenthalte, Ateliers, Ausstellungen, Reisen mit dem pahlavischen Privatjet zu den großen Kunstforen und Messen von Washington bis Beijing, das erst 1977 eröffnete Tehran Museum of Contemporary Art (TMoCA), und vieles mehr.

Bereits in den 1960er und ’70er Jahren waren die Künstler der sog. Saqqakhaneh- Bewegung – darunter Filamarz Pilaram (1937–1983), Mansur Ghandriz (1936–1966), Parviz Tanavoli (geb. 1937) und Charles Hossein Zenderoudi (geb. 1937) – berühmt, und ihre Kunst spiegelte das nationale Selbstverständnis wider: eine moderne, abstrakte Formensprache, die Motive schiitischer Votivkunst, antiker persischer Objekte, Elemente iranischer Architektur und Kalligrafie, also visuelle Bezüge zu einer „persisch-iranischen Tradition“, einbezieht. Das Pahlavi-Regime hat die Etablierung dieses Narrativs innerhalb des nationalen Modernisierungsdiskurses für die eigene Legitimierung zu nutzen gewusst. Die kulturpolitische Unterstützung unter anderem der Saqqakhaneh-Künstler war Teil des nationalen Projekts, was im Umkehrschluss jedoch nicht heißt, dass alle Künstler*innen, die heute zu dieser Gruppe gezählt werden, sich aktiv daran beteiligten. [...]


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