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Leseprobe 1 DOI: 10.14623/wua.2023.3.101-107
Michael Hartmann
Fresser, Säufer, Freund der Zöllner und Sünder
Jesu Umgang mit Vorurteilen und Ressentiments
Bis heute scheiden sich an Jesus von Nazareth die Geister. Für die einen war er das Haupt einer innerjüdischen Reformbewegung, die im ländlichen Galiläa begonnen hat und schließlich in Jerusalem am Widerstand des jüdisch-religiösen Establishments und der römischen Besatzungsmacht gescheitert ist. Für die anderen hat sein weltweiter Siegeszug gerade in seinem Scheitern begonnen, als Gott ihn von den Toten erweckt hatte (1 Kor 15,4ff.). Nach christlicher Lesart beansprucht der Christus Jesus seit dem Ereignis von Ostern als „Sohn Gottes“ kosmische Bedeutung.

Jesus polarisiert und provoziert – von Anfang an

Diese Sichtweisen nehmen ihren Ausgang bereits in der Zeit des Wirkens des Jesu von Nazareth. Seine Botschaft war ebenso einfach wie klar: „Das Reich Gottes ist da!“ (Mk 1,15). Bis zu seinem Tod am Kreuz versuchte er, genau das seinen Landsleuten in Theorie und Praxis nahezubringen. Doch anders als er selbst und seine Anhänger*innen es erwartet hatten, ließen sich eben nicht alle für das von ihm verkündete Gottesreich gewinnen. Jesus sah sich zunehmend mit Skepsis, Ablehnung, ja sogar offener Feindschaft konfrontiert. Seine Gegner äußerten ihre Vorurteile und Ressentiments anfangs in moderater, später in immer aggressiveren Formen. Wie ging Jesus damit um? Trat er seinen Gegnern in gleicher Manier entgegen oder versuchte er, sie in immer neuen Diskursen doch noch für sich zu gewinnen?

Wie kommen Vorurteile und Ressentiments zustande?

Seit Menschen sich in Gruppen zusammenschließen, um ihr Leben und Überleben zu organisieren, sind sie darauf bedacht, Grenzen zu ziehen. Zu wissen, wer der eigenen Gruppe (in-group) angehört und wer nicht, dient dazu, die eigene Identität herauszubilden. Positive Stereotype bzw. Vorurteile, welche die in-group sich selbst gegenüber entwickelt, helfen, deren Identität zu stärken. Genau solch eine stärkende Funktion können aber auch negative Vorurteile gegenüber einer fremden Gruppe (out-group) übernehmen. Diese „anderen“, aus ethnischen oder religiösen Gründen als nicht zugehörig empfundenen Menschen, werden mit negativen Bildern, negativen Stereotypen belegt. Stetig wiederholt und in funktionelle Narrative eingebettet, werden sie zum „Vorurteil“, das man in seiner chronifizierten und emotional verschärften Form als „Ressentiment“ bezeichnen kann. Deren Langlebigkeit ergibt sich allerdings nicht allein aus ihrer Wiederholung. Entscheidend sind hier die Deutungen von Erfahrungen, welche die in-group mit der out-group macht. Dabei können gerade Gefühle von Unterlegenheit und Ohnmacht dazu führen, sich in Ressentiments „einzurichten“. Dann werden „die anderen“ in der eigenen Wahrnehmung zu denen, die immer „verdächtig“ und „schuldig“ sind.

Überblickt man die Jahrhunderte, so scheinen Vorurteile und Ressentiments so etwas wie eine sozialpsychologische Konstante unter Menschen zu sein. Immerhin gibt es seit dem Zeitalter der Aufklärung die berechtigte Hoffnung, durch den allseitigen Gebrauch der menschlichen Vernunft, mäandernden Vorurteilen und Ressentiments zumindest diskursiv auf den Leib zu rücken. In der Antike stand diese Möglichkeit nur einer Minderheit von akademisch geschulten Philosophen zur Verfügung. Die Fragen, die es im nächsten Schritt zu stellen gilt, sind folgende: Wie sind Menschen in der mediterranen Welt des 1. Jahrhunderts n. Chr., zu der auch Jesus und seine Zeitgenossen gehörten, mit Vorurteilen und Ressentiments umgegangen? Wie haben sie darauf reagiert? Und welche sozialen Funktionen hatten diese Vorurteile und Ressentiments überhaupt?

Das kulturelle Setting als Rahmen, um nach Vorurteilen und Ressentiments zu fragen

Um angemessene Antworten auf diese Fragen zu erhalten, muss man sich der kulturellen und zeitlichen Differenz zwischen den Menschen der Gegenwart und jenen der Antike bewusst sein. Mit anderen Worten: Menschen des 1. Jahrhunderts n. Chr. „ticken“ anders als Menschen des 21. Jahrhunderts. Sie haben andere Grundwerte, eine andere Persönlichkeitsstruktur sowie eine andere Auffassung über Gesellschaft, Ökonomie und vieles mehr. Diese Menschen sind uns weitgehend fremd. Diesen Umstand mag man bedauern, man kann ihn aber auch zum Movens wissenschaftlichen Forschens machen. Genau das haben vor etwa 50 Jahren nordamerikanische Bibelwissenschaftler unternommen. Die Forschungsrichtung, die sich in diesem Zusammenhang etabliert hat, war die „Cultural Anthropology“ (Kulturanthropologie). Sie steht der Ethnologie nahe, die sich der Erforschung fremder Kulturen widmet. So kommt es, dass Methoden dieser Wissenschaftsdisziplin Eingang in die „Cultural Anthropology“ gefunden haben. Deren Ziel ist es, die Organisation und die Lebensformen der Kultur im Mittelmeerraum des 1. Jahrhunderts n. Chr. zu durchdringen und dabei besonderen Fokus auf das Denken, Fühlen und Handeln zu legen. Mittlerweile kann diese Forschungsdisziplin auf eine Fülle von Ergebnissen verweisen. Diese Erträge sind in eine bibelwissenschaftliche Kommentarreihe eingegangen, welche bislang die Evangelien, Apostelgeschichte, Paulinische und Deuteropaulinische Briefe sowie die Apokalypse abdecken. Hier ist die fruchtbare und innovative Erweiterung der historisch-kritischen Exegese durch die „Cultural Anthropology“ unmittelbar greifbar. [...]


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