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Leseprobe 3 DOI: 10.14623/wua.2022.2.71-76
Sebastian Maly
Nähe und Distanz bei Jugendlichen heute
An einem gewöhnlichen Schultag im Frühling lassen sich die Bewegungen und Begegnungen auf dem Schulhof des Canisius-Kollegs, einer Berliner Jesuitenschule, an der ich als Jesuit und Schulseelsorger tätig bin, folgendermaßen beschreiben: Neben den obligatorischen Räuber-und-Gendarm-Spielen laufen die Kinder paarweise oder in kleinen Gruppen im Gespräch vertieft ihre Runden. Viele lassen sich auf dem etwas weicheren Boden des Sportplatzes in Gruppen nieder, plaudern bestens gelaunt. Natürlich gelten noch Abstandsregeln und in dem Moment, wo es zurück ins Schulgebäude geht, setzen alle geübt ihre Masken auf. Dass diese Generation von Kindern und Jugendlichen auf den ersten Blick weniger oder anders Gefühle zeigen oder Kontakt meiden als frühere, kann ich jedenfalls nicht behaupten. Gerade nach den beiden Jahren mit Corona-Einschränkungen, digitalem Lernen, Wechselunterricht etc. scheint der Hunger nach Gemeinschaft und nach Kontakt, ja auch nach körperlichem Kontakt, ganz und gar altersgemäß zu sein.

Herausforderung von Nähe und Distanz


Als Schulseelsorger habe ich meistens weniger den Überblick über alle Schüler*innen, sondern begegne eher einzelnen mit ihren aktuellen Themen, weil Schüler*innen eine Sorge haben, etwas loswerden wollen, Beratung suchen. Nur wenige Schüler*innen sehe ich regelmäßig im Unterricht oder Gottesdienst. Aus meiner Beratungspraxis und den damit verbundenen Interventionen, auch in Klassen und im Gespräch mit Eltern, ergeben sich einige Beobachtungen und Reflexionen zum Thema, die ich hier gerne teilen möchte. Dabei steht im Hintergrund auch meine ehrenamtliche Tätigkeit als Berater bei einer Online-Krisenberatung für Kinder und Jugendliche. Vor welchen Herausforderungen stehen Kinder und Jugendliche – in den Kontexten, in denen ich sie erlebe – heute, wenn sie als Heranwachsende lernen, inangemessener Weise Nähe und Distanz in ihren Beziehungen zu regulieren und Zugang zu den eigenen Gefühlen zu bekommen und diese auszudrücken? Und wie können wir Erwachsene dabei hilfreich sein?

Zwischen Fridays for Future und Burnout

Eine für manche überkritische Erwachsene gute Nachricht hatten die letzten beiden großen Jugendstudien, die sog. „Shell Jugendstudie“ von 2019 und die sog. „SINUS Jugend-Studie“ von 2020 parat: Nach langen Jahren, in denen die 14- bis 24-Jährigen sich eher weniger für Politik und Gesellschaft interessiert haben, ist die jetzige Generation deutlich mehr politisch interessiert und formuliert selbstbewusster die eigenen Ansprüche an die Gestaltung der Zukunft. Nicht umsonst führt die Shell-Jugendstudie 2019 den Titel „Eine Generation meldet sich zu Wort“. Dazu tragen nicht zuletzt das brennende Thema Klimaschutz und die vielen neuen sozial-ökologischen Bewegungen rund um „Fridays for Future“ bei.

Auf der anderen Seite bestätigen beide großen Studien einen Wertekanon, der von den meisten Jugendlichen geteilt wird und der von zwei Polen aufgespannt wird: Soziale Werte wie Familie, Freunde, Treue, Altruismus oder Toleranz, die einen großen Wunsch nach stabilen Nahbeziehungen widerspiegeln, stehen der Leistungsorientierung und dem Streben nach Selbstbestimmung gegenüber. Die Shell-Jugendstudie spricht seit 2006 von der „pragmatischen Grundausrichtung“ der jetzigen Generation: „[Die Jugendlichen] passen sich auf der individuellen Suche nach einem gesicherten und eigenständigen Platz in der Gesellschaft den Gegebenheiten so an, dass sie Chancen, die sich auftun, möglichst gut ergreifen können.“ Dies scheint aber der gleichzeitigen Bewusstheit für die Themen Klima und Lebensführung nicht zu widersprechen.

Beide Studien haben noch sehr viel detailliertere Beobachtungen zur Generation der Jugendlichen zu bieten, die sich nachzulesen lohnen. Hier möchte ich das Thema der Leistungsorientierung aufgreifen, das ich in meiner alltäglichen Arbeit mitbekomme. Ich erlebe, dass sich die meisten unserer Schüler*innen mit großer Selbstverständlichkeit hohe Ziele setzen, zielstrebig und ehrgeizig sind – von Anfang an. Vor einiger Zeit sagte ein Kind in einem Aufnahmegespräch, dass es gerne auf das Canisius-Kolleg gehen wolle, um sich bestmöglich auf seine Zukunft vorzubereiten. Mitunter fließen Tränen in den 5. Klassen, wenn nach den hervorragenden Noten in der Grundschule auch mal eine „2“ unter dem Vokabeltest steht. Die Note „3“ geht schon gar nicht! In der Oberstufe berichten Schüler*innen, dass sie, obwohl die Gemeinschaft in der Stufe gut ist, Einzelkämpfer*innen mit Blick auf ihr Abitur sind. Wenn es um Noten geht, sind Konkurrenz und Neid groß. Wenn einzelne Kinder und Jugendliche dann nicht mehr können und sich Rat und Hilfe holen, dann verweisen viele auf ihre Eltern, die ihnen den Druck machen würden, oder auf die Lehrer*innen. Die Eltern wiederum wundern sich sehr, weil sie in der eigenen Wahrnehmung ihrem Kind keine besondere Leistung abverlangen würden. Den Druck würde sich das Kind selbst machen. Das sagen auch viele Lehrer*innen. [...]


Lesen Sie den kompletten Artikel in der Printausgabe.

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