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Stichwort DOI: 10.14623/wua.2021.3.98-102
Joachim Kügler / Blessing Nyahuma
Apokalypse
Damals: Begriff

Der Begriff Apokalypse kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Enthüllung“. Meist werden damit Texte bezeichnet, die davon erzählen, wie einem Visionär oder Propheten eine himmlische Wahrheit enthüllt wird. Diese Enthüllung ist notwendig, damit die Adressaten verstehen, was der Sinn der menschlichen Geschichte ist. Dahinter steckt ein negatives Lebensgefühl, das man Apokalyptik nennt. Dieses Weltbild sieht die Gegenwart als heillos durcheinandergeraten. Die gesamte Weltordnung steht Kopf, alles widerspricht der göttlichen Ordnung, überall herrschen Sünde und Chaos. Um in der heillos verworrenen Lage nicht zu verzweifeln und den Glauben an Gott nicht zu verlieren, ist es notwendig, den Sinn des ganzen Schlamassels zu verstehen. Warum lässt Gott das zu? Was hat er vor? Um diese Fragen zu beantworten, lassen Apokalypsen in den Himmel blicken und Auskunft erhalten über das, was vorgeht und wozu es geschieht.

Damals: Geschichtsbild

Das idealtypische Geschichtsbild der Apokalyptik lässt sich grob strukturieren wie folgt:

– Am Anfang/früher gab es eine heile Welt, in der die göttliche Ordnung zugleich die Ordnung der Welt war. Mensch, Natur und göttliche Welt lebten in Harmonie.

– Dann geschieht eine Störung, die die Welt aus dem Gleichgewicht wirft und es folgt eine Epoche von Unheil, Ungerechtigkeit, in der Sünde, Tod und Bosheit die Herrschaft übernehmen. Diese Epoche muss nicht einheitlich sein, sie kann aus mehreren Teilen mit unterschiedlichem Leidensdruck bestehen. Oft wird zum Ende hin eine geradezu orgiastische Steigerung des Unheils erwartet. Der Kampf zwischen Gut und Böse ist schrecklich.

– Dann kommt es zu einer Wende und eine neue Zeit des Heils beginnt. Diese Zeitenwende wird als radikaler Bruch verstanden. Die alte Welt der Sünde und Ungerechtigkeit wird zerstört. Diese Zerstörung der alten Welt wird oft mit der Vorstellung von einem göttlichen Gericht verbunden, in dem die Sünde bestraft und die Treue zur göttlichen Ordnung belohnt wird. Damit wird die lange vermisste Gerechtigkeit wiederhergestellt und eine neue, gute und gerechte Welt kann beginnen. Sowohl das Strafgericht als auch die neue Weltordnung werden mit königlichen Gestalten (Heilskönig, Messias, Menschensohn, Richter) verbunden, die im Auftrag Gottes agieren. Diese Anbindung der neuen Zeit des Heils an messianische Gestalten hängt eng damit zusammen, dass alte Kulturen eben in der Regel Monarchien waren. Deshalb wird das Unheil dem Fehlen gerechter Herrschaft zugeschrieben und auch die neue Weltordnung braucht einen Herrscher, nur ist es eben dann der ideale König, der die Harmonie von Gott/Göttern, Schöpfung und Menschenwelt garantiert.

Damals: Entstehungsbedingungen

Die Entstehungsbedingungen der Apokalyptik lassen sich historisch recht gut erkennen. Apokalyptische Texte und das zugrundeliegende Weltbild der Apokalyptik wird von Menschen entwickelt, die sich auf der Verliererseite der bestehenden Weltordnung sehen. Sie sehen ihr Grundvertrauen, dass die irdische Macht die göttliche Macht vergegenwärtigt und die göttliche Weltordnung garantiert, zutiefst enttäuscht, und zwar dauerhaft. Typische Zeiten für Apokalyptik sind Zeiten der Fremdherrschaft, der kulturellen, religiösen und ökonomischen Unterdrückung, in denen traditionelle Sinnsysteme nicht mehr funktionieren. Im Alten Ägypten entsteht Apokalyptik unter zuerst persischer, dann griechisch-hellenistischer und zuletzt römischer Fremdherrschaft. Da man unbedingt einen König braucht, der die Verbindung zwischen göttlicher und menschlicher Welt darstellt, die göttliche Weltordnung garantiert und dadurch dem menschlichen Leben Sinn gibt, werden die Fremdherrscher notgedrungen in das politisch-religiöse System integriert. Aber es bleibt das Bewusstsein, dass sie als Götterfeinde eigentlich gar nicht in die Königsrolle passen. Letztlich können sie weder kulturelle Identität noch religiösen Sinn stiften. Dieses abgrundtiefe Unbehagen zeigt sich nicht nur in immer neuen Revolten, sondern auch dort, wo man kollaboriert. So findet sich in Tempeln der Spätzeit oft nicht mehr der Name des aktuellen Regenten in den Königskartuschen, sondern nur der Titel „Pharao“ (per-a‘a = Großes Haus/Palast) oder man lässt die Namenskartusche sogar leer. Wenn der griechische Regent in traditionell ägyptischer Art beim Niederschlagen der Feinde dargestellt wird, etwa im Tempelbezirk von Edfu, dann werden die Griechen unter den Feinden aufgezählt, die er vernichtet. Da der König selbst zu diesen gehört, vernichtet er sich damit symbolisch selbst und die beißende Paradoxie des hellenistischen Königtums ist mit Händen zu greifen.

Im jüdischen Bereich ist ebenfalls die Erfahrung der Fremdherrschaft Auslöser für apokalyptisches Denken und die Produktion entsprechender Texte. Seit dem Babylonischen Exil stand das Land stets unter der Herrschaft ausländischer Mächte. Perser, Ptolemäer, Seleukiden und Römer folgten aufeinander. Die daraus resultierende Transformation wird als Zersetzung religiöser und kultureller Identität interpretiert und bekämpft. Die Zahl apokalyptischer Texte aus der Zeit von etwa 300 v. Chr. bis in die Kaiserzeit hinein ist enorm. Und Johannes der Täufer, Jesus und das frühe Christentum teilen diese Weltsicht der jüdischen Apokalyptik.

Damals: Widerstandstexte

Die apokalyptischen Widerstandstexte, die im Judentum wie in Ägypten entstehen, kündigen entsprechend der Heilsbedeutung des Monarchen einen neuen, guten, gerechten König gemäß der göttlichen Weltordnung an. In Ägypten1 formuliert die Demotische Chronik (300–150 v. Chr.) die Hoffnung auf die Vertreibung der Fremdherrscher (als Agenten der Chaosmächte) und das Wiederherstellen eines ägyptischen Königtums auf der Basis der göttlichen Weltordnung. Durch die Betonung überkommener Ordnungsideale will der Text die gefährdete Identität der alten ägyptischen Elite stabilisieren und ihren Führungsanspruch konservieren. Das Töpferorakel, Übersetzung eines demotischen Originals (um 150 v. Chr.), berichtet von einem Töpfer, dem eine Unheilsbotschaft gegeben wird. Die Prophezeiung stellt großes Unheil in Aussicht. Ein schlechter König kommt, gründet eine neue Stadt (Alexandria) und führt einen neuen Gott (Sarapis) ein. Die Folgen sind schrecklich:

Krieg wird zwischen Geschwistern und Eheleuten herrschen,2
die Menschen werden sich gegenseitig umbringen.
Not macht egoistisch: Jeder hält sein Übel für das schlimmste.
Die Bauern haben nichts zu ernten
und müssen versteuern, was sie nicht gesät haben;
die Not treibt sie mit Waffen gegeneinander.
Die Sklaven werden frei werden und ihre Herren Mangel leiden.3
Der Vater wird der Tochter den Gatten abspenstig machen
und Söhne die Mutter heiraten.4

Ein Ende der Not wird aber versprochen. Krieg wird die gottlose Herrschaft zerstören. Dann kommt, von der Sonne gesandt und von Isis inthronisiert, ein König, der Ägypten lange regieren wird. In Gerechtigkeit und Harmonie wird Ägypten gedeihen, die Sonne strahlt wieder, der Nil führt Hochwasser, die Jahreszeiten kommen gemäß ihrer Ordnung.

Im jüdischen Bereich5 ist hier auf das Buch Daniel zu verweisen, das zum ersten Mal einen „Menschensohn“ erwähnt, der nach dem göttlichen Strafgericht herrscht (Dan 7,13). Außerbiblisch wären die Henochbücher, die Psalmen Salomos und viele mehr zu nennen. Im Neuen Testament finden sich apokalyptische Elemente in der Jesustradition und bei Paulus, sowie die Johannesoffenbarung als apokalyptisches Buch.

Das Markusevangelium kündigt endzeitliche Kriege, Hunger, Verfolgung und Naturkatastrophen (13,8–25) an. Nach den Wirren des Endes aber kommt der Menschensohn vom Himmel und ruft die Auserwählten zum Heil (13,26 f.).

Auch Paulus erwartet Heil für die Erlösten: „16… der Herr selbst wird herabsteigen vom Himmel, […] und die Toten in Christos werden zuerst aufstehen, 17dann werden […] wir allzeit mit dem Herrn sein.“ (1 Thess 4,16 f.)

Heute

Im globalen Westen geht es heute bei Apokalyptik meist nur noch um ein Horror-Szenario – heillos, hoffnungslos, unentrinnbar. Das Weltende ist Schreckgespenst, nicht Hoffnung. Das dürfte zwei Gründe haben:

1. Ohne Glauben an die erneuernde Kraft Gottes nach dem Weltuntergang ist nichts mehr zu hoffen.

2. Die „Apokalyptiker“ im Westen sind selten arme Unterdrückte, die auf ein Ende der ungerechten Welt hoffen, damit eine neue Ordnung sie zu echtem Leben befreit.

In Afrika war das zunächst ganz anders, nämlich ähnlich den antiken Ursprüngen der Apokalyptik. Die Entfremdungserfahrungen der Unterdrückung durch die Kolonialmächte beförderten eine Weltsicht, die dem Widerstand als religiöse Motivation diente. So brachten einheimische Propheten apokalyptische Orakel hervor, die vor der Kolonialisierung warnten und sie als apokalyptisches Phänomen deuteten. Die Fremdherrschaft wurde als göttliche Strafe für die Verbreitung des Bösen und die Abkehr von Kultur und Tradition verkündet. Diese Apokalyptik warnte nicht nur vor der drohenden Zerstörung überlieferter Lebensweise, sondern bot auch Lösungen an, wie dies durch menschliche Ideen und Handlungen verhindert werden könnte. Viele Befreiungsbewegungen – etwa Maji-Maji (Tansania, Burundi, Ruanda), Mau-Mau (Kenia) und Chimurenga (Simbabwe) – steigerten ihre Kampfkraft durch apokalyptische Motive (z. B. Kampf zwischen Gut und Böse, Endgericht) und nährten die Hoffnung, nach dem Sieg über die Mächte des Bösen würde die Wiederherstellung einer heilen Welt, eines Lebens im Einklang mit den Ahnen folgen.

Später hat das kolonial formatierte Christentum in vielen afrikanischen Ländern apokalyptische Gewaltaspekte zurückgedrängt, ohne aber die Ablehnung des Fremden überwinden zu können. Diese hat sich jedoch spiritualisiert. Neue Ideen wie Himmel und Jenseits begünstigten einen weltabgewandten Glauben: Diese Welt ist nur Durchgangsstation. Sie ist böse, aber das ist nicht zu ändern.

Dabei werden Krisen und Veränderungen – ob Feminismus6, Naturkatastrophen und Terror oder Kriege, Armut, politisches Chaos und AIDS – als apokalyptisches Unheil verstanden. COVID-19 ist in diesem Weltbild ein ambivalentes Phänomen. Wurde es zunächst als Gottes Strafe für den gottlosen Westen gesehen, so änderte sich dies, als Afrika schlimmer betroffen wurde. Nun leugneten viele – etwa der verstorbene tansanische Präsident Magufuli –, dass die Pandemie überhaupt existiert. Andere erklärten die Impfung zum teuflischen Zeichen „666“ aus der Johannesoffenbarung oder bezeichneten Schutzmasken als „Masken des Tieres“.

Diese hybride afrikanische Apokalyptik, ebenso antiwestlich wie politisch inaktiv, lässt viele Menschen sich in eine reformfeindliche Xenophobie hineinsteigern. Technologie, Säkularisierung und wirtschaftliche Not werden als zerstörerische Vorboten des Untergangs eingestuft. In dieser antimodernen Apokalyptik ist das Weltende ebenso wie im Westen heilloser, unentrinnbarer Horror. Anders aber als beim westlichen „Apocalypse now!“ gibt es durchaus Hoffnung auf Heil, auch wenn dieses nicht mehr – wie noch vor der Unabhängigkeit – messianisch erkämpft, sondern im Himmel erwartet wird!

Anmerkungen
01 Vgl. J. Assmann, Ägypten. Eine Sinngeschichte, München 1996, 418–430.
02 Vgl. Mk 13,12.
03 Was hier chaotisches Unheil ist, benennen Jesustradition und Paulus als Heilszeichen der neuen Welt: Mk 10,31.44; Lk 1,52 f.; Gal 3,28.
04 Den apokalyptischen Topos„chaotischer“ Sexualität benutzt auch Paulus (Röm 1,26 f.).
05 Vgl. Th. Hieke, Apokalyptik/ Apokalypse, in: Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, hrsg. v. A.Berlejung u. Ch. Frevel, Darmstadt 42015, 97–99.
06 Vgl. B. Nyahuma, The Whore of Babylon, in: J. Kügler/R. Gabaitse/J. Stiebert (Eds.), The Bible and Gender Troubles in Africa (Bible in Africa Studies Bd. 22), Bamberg 2019, 315–338.

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