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Leseprobe 3 DOI: 10.14623/wua.2021.1.41-43
Dennis Halft
Denkschrift einer Gruppe Walberberger Studenten (1968)
„V. Der Konvent

1. Der Konvent als Gesellschaft der Freien[:] Eine wahre menschliche Zukunft kann nur gedacht werden, wenn man demokratisch denkt und handelt. Für den Orden [der Prediger] bedeutet das: er darf dieser Zukunft nicht im Wege stehen. Würde er ausfallen – und ohne Zukunftsperspektive wird er ausfallen – wäre zwar nicht die Katastrophe da, aber es gäbe eine mögliche demokratische Kraft weniger. Demokratisches Handeln, Arbeit für die Freiheit aller Menschen, Kritik der Gesellschaft überall da, wo sie unmenschlich ist, kann glaubwürdig und erfolgreich nur sein aus einem selbst demokratischen Raum heraus. Ernstzunehmende Modelle des demokratischen Gehorsams gibt es, so weit wir sehen, nicht. Unsere beiden Provinzen [Teutonia und des Hl. Albert in Süddeutschland und Österreich] könnten solche praktischen Modelle sein. Das erfordert eine innere Demokratisierung: allgemeines, qualifiziertes Mitbestimmungsrecht, gründliche Überprüfung der Zulassungsverfahren.

Alle müssen zur Freiheit herausgefordert werden. Sie sind es bereits durch die Profeß. Wegen des unbedingten Anspruchs, als eines Wesensmerkmals der Profeß, kann sie ihre Erfüllung nicht in diesem und jenem Verzicht finden, sondern nur in der ein Leben dauernden Übernahme menschenmöglicher Freiheit.“1

Mit den gesellschaftlich-kirchlichen Umbrüchen der 1960er-Jahre geriet auch das Ordensleben in eine substanzielle Krise. Die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils hatten weitreichende Erwartungen hinsichtlich mehr Dezentralisierung, Kollegialität und Pluriformität in der Kirche geweckt. Junge Ordensleute stellten die Autoritätsfrage und suchten ad experimentum neue Formen des Gemeinschaftslebens, die sich an den gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart ausrichten sollten. Zugleich waren ordenseigene Obrigkeiten vielfach außerstande, auf die Vorstellungen der jüngeren Generation einzugehen und eine sachlich-argumentative Auseinandersetzung zu führen. Die Gegensätze wurden unüberbrückbar. Vielerorts führte die Identitätskrise in Kombination mit einem als „Kadavergehorsam“ missverstandenen Gehorsamsgelübde zum irreparablen Bruch, sei es durch freiwilligen Austritt von Brüdern oder durch deren Ausschluss aus der Gemeinschaft.

Versuche eines zeitgemäßen Ordenslebens

Im Januar 1968 legten einige Dominikanerbrüder mit einfachem Professversprechen aus dem damaligen Studienkonvent in Walberberg eine „Denkschrift“ vor, in der sie die gelebte Ordenspraxis einer kritischen Analyse unterzogen und für eine zeitgemäße Erneuerung eintraten. Mit ihrem „Versuch einer Problemstellung“, wie es im Vorwort heißt, suchten sie die Auseinandersetzung mit „alle[n] Verantwortlichen des Walberberger Studienkonventes“, um einen gemeinsamen Reflexions- und Diskussionsprozess über die Zukunft des Ordenslebens anzustoßen.2 Die jungen Brüder forderten – noch unter dem Eindruck der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und dem kollektiven Versagen der deutschen Gesellschaft –, dass sich der Orden „an einer noch zu schaffenden Gesellschaft [orientieren]“ solle, anstatt „durch gesellschaftliche Fixpunkte der Vergangenheit [festgelegt]“ zu sein.3 Solche „Fixpunkte“ waren traditionelle Vorstellungen von einer starren monastischen und stark hierarchisch verfassten Gemeinschaft, die vor allem binnenorientiert und nach außen weitgehend abgeschottet war, reguliert durch interne Gebets-, Mahl- und Rekreationszeiten.

Dieser bisherigen Praxis stellten die Verfasser der Denkschrift die Vision einer Ordensexistenz in „gesellschaftsoffenen und kritischen Gruppen“4 gegenüber, die nicht nur mit der gesellschaftlichen Entwicklung Schritt halten, sondern sich sogar an deren Spitze setzen und diese mitprägen sollte. Die „noch zu schaffende Gesellschaft“ sollte demokratischer, freiheitlicher und solidarischer sein. Sie war das Ziel ihres dominikanischen Engagements, um durch kritische Aufmerksamkeit und Begleitung das Wohlergehen aller Menschen – das „salus animarum“5 – zu fördern. Deshalb sollten Prediger in der Gesellschaft präsent sein, einen zivilen Beruf ergreifen („Priestersein ist kein Beruf“6) und das Leben der Menschen teilen. Damit entwarfen die Brüder eine andere Theologie von Ordensleben, die die seinerzeit üblichen Verhältnisse umkehrte. Im Mittelpunkt standen nicht geistliche Übungen und Selbsterbauung, sondern die apostolische Sendung in einen gesellschaftlichen Kontext hinein. Diesem Auftrag sollte sich die Organisation des gemeinschaftlichen Lebens zwecks besserer Wirksamkeit flexibel anpassen können.7

Verkündigung und Lebensform sollen in Einklang stehen

Auf diesem Hintergrund war es nur konsequent, wenn die jüngeren Brüder – durchaus mit jugendlichem Idealismus – für „innere Demokratisierung“ und neue Gemeinschaftsformen plädierten, die dem dominikanischen Sendungsauftrag unter den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen im Nachkriegsdeutschland dienlicher erschienen. Ihr Wunsch nach mehr Offenheit, Transparenz und Partizipation in einer „Gesellschaft der Freien“ entsprach nicht nur dem dominikanischen Charisma, sondern auch den demokratischen Strukturen, wie sie der Verfassung des Ordens seit seiner Gründung zu eigen sind.8 Solche Anpassungsmöglichkeiten, die die Konstitutionen explizit vorsehen, setzen freilich gegenseitiges Vertrauen, den Willen zur Gestaltung von Freiheitsräumen und die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung voraus. Vor allem aber nehmen sie das Professversprechen des Einzelnen als Selbstverpflichtung zum „demokratischen Gehorsam“ gegenüber Gott und dem Predigtwerk des hl. Dominikus in Form seiner Konstitutionen und Ordinationen ernst. Wie die Jahrhunderte lang bewährte Verfassung der Dominikaner zeigt, sind demokratische und hierarchische Elemente in einer kirchlichen Sozialform prinzipiell miteinander vereinbar, müssen in der Praxis aber mit Leben gefüllt werden.9 Trotz ihrer visionären und für den dominikanischen Sendungsauftrag in postmodernen Gesellschaften immer noch höchst relevanten Gedanken trafen die Verfasser der Denkschrift bei ihren Oberen auf heftigen Widerstand. Zusammen mit einigen Komplementärstudenten ihrer Provinz entwickelten sie bei einem Treffen in München im März 1968 ein „vorläufiges Programm“ zur Konkretisierung ihrer Anliegen.10 Ausgehend von einer Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen erneuerten sie u. a. ihre Forderung nach einer „Pluralität der Lebensformen“ im Orden. Denn erst „[d]ie Wahl des Projekts, das in Angriff genommen werden soll, die Erarbeitung der Aktionsprogramme und deren Durchführung bestimmen das Leben der Gruppe. Erfahrungen zeigen, daß man nicht mit der Kultivierung oder gar Vergesetzlichung des Innenraumes beginnen darf. Darum können sich neue Formen des Zusammenlebens und der Spiritualität erst in der gemeinsamen Aktion herausstellen.“11 Ein solcher Ansatz, von den gegenwärtigen Verhältnissen her gedacht und begründet, garantiert die bleibende Relevanz der dominikanischen Sendung.

Misslungene Kommunikation


Als der damalige Provinzial Friedrich Quatmann im April 1968 Kenntnis von den beiden Schriften, der Denkschrift und dem vorläufigen Programm, erhielt, verurteilte er das Verhalten der Brüder scharf und drohte ihnen mit Ordensausschluss.12 Dass er ihre Überlegungen zur Zukunft des Ordens nicht anders als als sozialistische Agitation abzutun wusste, offenbart die Hilflosigkeit und Machtlosigkeit der Oberen jener Zeit im Umgang mit dieser ‚unverstandenen‘ Brüdergeneration. Quatmann war überzeugt, dass „[u]nser Orden […] eine ausgesprochen demokratische Verfassung [hat.] Sie setzt ein hohes Mass [sic!] an Verantwortung bei jedem einzelnen Mitbruder voraus.“13 Und an die Adresse der Verfasser der Schriften gerichtet fügte er hinzu: „Gerade diese Verantwortung vermisse ich bei Ihnen. Was Sie wollen, muss ich als Sozialismus bezeichnen.“14

Anmerkungen
01 Der viereinhalbseitigen, maschinengeschriebenen„Denkschrift einer Gruppe Walberberger Studenten“ (hernach: Denkschrift), die sich in fünf Kapitel (I. Grundlage, II. Theologie, III. Studium, IV. Beruf, V. Konvent) gliedert, ist ein halbseitiges Vorwort vorangestellt, das auf Walberberg im Januar 1968 datiert ist. Die Denkschrift ist Teil einer 46 Seiten umfassenden „Dokumentation“ mit verschiedenen unveröffentlichten ordenstheologischen Texten, Projektberichten und Stellungnahmen in deutscher, französischer und spanischer Sprache, die vom „Internationale[n] Studentenausschuß OP/Münster“ zusammengestellt wurde. Die Dokumentation sollte den Teilnehmenden am „erste[n] Treffen Interessierter aus europäischen Provinzen […] vom 31.10. bis 3.11.1968 in Lorscheid bei Trier“ als„Arbeitsgrundlage“ dienen. Die nach dem Ort des Treffens benannte dominikanische „Lorscheidbewegung“, die auch unter„Lorscheider Kreis“ bzw. „Lorscheidgruppe“ bekannt ist, setzte sich für eine tatsächliche kirchliche Erneuerung nach den Beschlüssen des II. Vatikanums sowie für Reformen des Ordenslebens ein. – Ich danke Ulrich Engel OP, der mir eine Kopie der Dokumentation zur Verfügung stellte, sowie Heiner Katz OP für seine Erläuterungen zu den Hintergründen der Entstehung der Lorscheidbewegung.
02 Alle Zitate in diesem Satz stammen aus dem Vorwort zur Denkschrift.
03 Denkschrift, 1.
04 Ebd., 2.
05 Vgl. Liber Constitutionum et Ordinationum fratrum Ordinis Praedicatorum (= LCO) 1 § II.
06 Denkschrift, 3.
07 Vgl. LCO 1 § VII.
08 Vgl. dazu U. Engel, Leitung auf Zeit – Leitung durch Wahl, in: futur2, 2/2019; www.futur2.org/article/leitung-auf-zeit-leitungdurch-wahl [Aufruf: 1.2.2021].
09 Vgl. ebd.
10 Das zweieinhalbseitige, maschinengeschriebene„Vorläufige Programm einer Gruppe von Komplementärstudenten“, das auf April 1968 datiert ist, ist ebenfalls Teil der o. g. Dokumentation.
11 Vorläufiges Programm, 2.
12 Zweiseitiger maschinengeschriebener Brief des Provinzials Friedrich Quatmann v. 22.4.1968 an „Hochw. Herrn N.N.“, zit. nach o. g. Dokumentation.
13 Ebd., 2.
14 Ebd.

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