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Leseprobe 1 DOI: 10.14623/wua.2021.1.12-1
Timothy Radcliffe
Die Spiritualität dominikanischer Ordensleitung
Die meisten Orden haben ihre eigene Spiritualität: Die Franziskaner haben den hl. Franziskus mit den Stigmata und der Liebe zur Schöpfung, die Benediktiner ihre weise Regel. Die Jesuiten haben die Exerzitien des hl. Ignatius, die Karmeliten die hl. Teresa von Ávila und ihren Aufstieg der Seele zu Gott, und auch die hl. Therese von Lisieux. Welche Spiritualität haben die Dominikaner? Eine ihrer Formen ist das Leitungssystem. Der hl. Dominikus hat uns keine Andachtsformen oder Gebetsmethoden hinterlassen, sondern einen demokratischen Weg, um Entscheidungen über unser gemeinsames Leben und unsere Sendung zu treffen. Wir legen unsere Profess auf das Buch der Konstitutionen ab, von denen die meisten mit unserer Leitung befasst sind.

Das könnte im Vergleich mit der Spiritualität anderer Orden sehr dürftig klingen, aber unsere Leitung verkörpert eine Vision, wie wir die Frohe Botschaft leben sollen, die wir verkündigen. Während meiner Jahre als Ordensmeister habe ich gesehen, dass jene Ordensprovinzen, die am fruchtbarsten predigten, eine gute dominikanische Leitung hatten. Unsere Leitung ist nicht nur Verwaltung, obwohl auch Verwaltung ein Dienst ist. Sie drückt einen Weg aus, als Gemeinschaft in Jesus Christus, das heißt in der Gnade, zu leben.

Gleichheit als Basis von Gemeinschaft

Das liegt daran, dass die primäre Aufgabe unserer Leitung auf allen Ebenen – Konvent, Provinz, Gesamtorden – darin besteht, uns zum Predigen auszusenden. Das zweite Generalkapitel des Ordens 1221 sandte die Brüder in die Mission nach England, Dänemark und Polen. Die Sitzordnung auf jedem Generalkapitel gibt ein sichtbares Zeugnis für unsere 800-jährige Geschichte, in der Brüder auf Mission geschickt wurden.

Unsere Leitungsform verkörpert die Frohe Botschaft, welche wir zu verkündigen gesandt sind. Sie ist Ausdruck unserer Geschwisterlichkeit – und bevor es in unserem Orden Brüder gab, gab es bereits Schwestern! „Bruder“ und „Schwester“ sind die ältesten und grundsätzlichsten Titel im Christentum. Sie erzählen von unserer Zugehörigkeit zur Familie Christi. Unser Gründer war Bruder Dominikus, und seine erste Biografie ist in den Vitae Fratrum („Die Leben der Brüder“) zu finden. Es ist äußerst angemessen, dass der Predigerorden von jemandem gegründet werden sollte, der nicht beanspruchte, mehr als einer unter Brüdern zu sein.

Diese Ausgestaltung von Geschwisterlichkeit war für die Städte, in die wir zuerst gesandt wurden und die zu Dominikus’ Zeiten in Aufruhr begriffen waren, enorm ansprechend. Die alten, horizontal ausgerichteten Beziehungen des Feudalismus verloren an Bindungskraft, die Kultur der Deferenz war im Schwinden begriffen, Händler reisten durch ganz Europa und darüber hinaus. Eine „Mini-Globalisierung“ war im Gange. Von den Brüdern wurde gesagt, dass „die Welt ihre Zelle und der Ozean ihr Kreuzgang war.“ Ihre Identität als Gemeinschaft von Brüdern war in sich selbst bereits Predigt des Evangeliums.

Der Dominikanertheologe Marie-Dominique Chenu vertrat die Ansicht, dass zu jeder Zeit, in der der Glaube eine neue Belebung erfährt, auch das Wort „Bruder“ wieder auftauche. „Das typische Wort der ersten christlichen Gemeinden erhält wieder seine volle Bedeutung: Menschen werden Bruder (oder Schwester) genannt, um soziale Ungleichheit zu konfrontieren, und mit der ganzen utopischen Aufladung dieser Worte. Der Vorsteher der dominikanischen Gruppe, die in Paris ankam, wurde in Übereinstimmung mit den Gebräuchen noch ‚Abt‘ genannt. Innerhalb von drei Monaten wurde dieser Titel fallen gelassen, und er wurde ‚Bruder Prior‘ genannt.“ Und daher ist es nur richtig, dass ein Generalkapitel vor kurzem angeordnet hat, dass der angemessene Titel für alle Mitbrüder im Orden „Bruder“ sei, wie unser Bruder und Ordensmeister Gerard uns erinnert.

All dies ist heutzutage von besonderer Bedeutung. Unsere Gesellschaft ist wie zu Dominikus’ Zeiten in Aufruhr begriffen: Unsere sozialen Hierarchien bröckeln. Nie zuvor gab es eine solche Migrationsbewegung von Menschen, die nach Frieden und Sicherheit suchen. Jedes Mal, wenn wir unsere Häuser verlassen, begegnen wir Fremden. Zygmunt Bauman hat unsere Gesellschaft als „fließende Moderne“ bezeichnet. In einer so unsicheren Welt eröffnet eine Spiritualität der Geschwisterlichkeit einen Weg, um mit Menschen verschiedener Herkunft und mit unterschiedlichen Überzeugungen Beziehungen aufzubauen. Papst Franziskus ruft Priester immer wieder zur Überwindung des „Klerikalismus“ auf. Wie würde eine nicht-klerikalistische Kirche aussehen? Dominikanische Priester sollten dies im geschwisterlichen Dienst vorleben.

Mit Unterschieden produktiv umgehen Noch deutlicher und vor dem Hintergrund der Tradition der englischen Dominikanerprovinz denke ich, dass man noch einen Schritt weiter gehen kann: Diese Geschwisterlichkeit könnte uns sogar zur Freundschaft miteinander öffnen. Der hl. Thomas von Aquin lehrte, dass wir zur Freundschaft mit Gott getauft werden. Ich zitiere meinen Mitbruder Fergus Kerr: „In der Liebe sind wir Freunde Gottes. Es gibt keine Freundschaft im vollen Sinne außer zwischen Ebenbürtigen – aber Gott hat sich uns ebenbürtig gemacht.“ Die ersten Brüder brachten der verwirrenden, turbulenten Stadtwelt das überraschende Angebot einer Freundschaft auf Augenhöhe. Unser Leitungsmodell verkörpert die Freundschaft des Ordens, welche wiederum ein Ausdruck der Freundschaft als der Lebensweise Gottes ist.

Diese frühen Brüder und Schwestern hatten Freundschaften miteinander. Als Dominikus im Sterben lag, beichtete er, dass er lieber mit jungen Frauen geredet habe als alten Frauen zuzuhören. Sein unmittelbarer Nachfolger, der sel. Jordan von Sachsen, wechselte äußerst liebevolle Briefe mit einer dominikanischen Nonne, Diana von Andalò. Meister Eckhart pflegte enge Freundschaften mit den Nonnen des Rheinlands. Die hl. Katharina von Siena, eine Laiendominikanerin des 14. Jahrhunderts, hatte eine Gruppe von Freunden, unter denen Ordensbrüder und Laien waren. Sie nannten sich die „Caterinati“ und gaben sich verrückte Spitznamen oder rissen Witze. [...]


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