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Leseprobe 3 DOI: 10.14623/wua.2025.4.177-183
Ulrich Engel OP
„Der Gottesfreund vom Oberland“
Die literarische Tauler-Fiktion des Rulman Merswin
Wilhelm Rath, Verfasser einer 1930 publizierten Vita über den „Gottesfreund vom Oberland“, deutet die Zeit des Johannes Tauler OP (um 1300 – 1361) als epochalen Paradigmenwechsel. Als Vergleichsperiode dient ihm die „Blüte der mittelalterlichen Kultur“ im 13. Jahrhundert. Wo früher noch ein allgemein geteiltes „Vertrauen auf göttliche Führung“ (12) vorgeherrscht habe, das nicht zuletzt in der Neugründung der „von Frömmigkeit und Schaffensfreude erfüllten“ (13) Mendikantenorden geschichtlich Gestalt angenommen habe, da sei dieses geistig-geistliche Zutrauen ab „der zweiten Hälfte des 14. Jahr hunderts“ – so datiert Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert – in seinen „Grundfesten erschüttert“ (13) worden.

In damals üblicher Terminologie beschreibt Rath den Umbruch wie folgt: „An die Stelle geistiger Führerschaft, die gegründet war im Vertrauen auf göttliche Führung, trat die Machtbestrebung politischer Berechnung.“ (13). Zu letzterer zählt er das Avignonesische Exil der Päpste, die Judenpogrome, die sich in Europa breit machten, und das Große Abendländische Schisma. Verschärft worden seien diese politischen Entwicklungen noch durch das Wüten der Pest auf dem gesamten Kontinent. 

Geistesgeschichtliche und kirchenpolitische Zeitenwende 

An genau dieser von Rath diagnostizierten Zeitenwende trat die Bewegung der Gottesfreund:innen ins historische Bewusstsein. Die geistesgeschichtlichen und (kirchen-)politischen Entwicklungen des 14. Jahrhunderts müssen allerdings nicht unbedingt als Verfallsgeschichte gelesen werden. Unabhängig von der historischen Bewertung kann aber auf jeden Fall festgehalten werden, dass die Zeitenwende für das Selbstverständnis der Menschen damals einschneidend war.

Zur theologischen Deutung dieses Umbruchs rekurriere ich auf eine zeitdiagnostisch wie fundamentaltheologisch intendierte These des französischen Historiographen Michel de Certeau SJ. In seinem zweibändigen Hauptwerk „La fable mystique“ hat er die gesellschaftlichen und kirchlichen Veränderungen an der Schwelle vom 16. zum 17. Jahrhundert (also 300 Jahre nach dem Auftreten der Gottesfreund:innen) als den entscheidenden Impuls für das Entstehen einer frühneuzeitlichen Mystik interpretiert: Angesichts des Verlustes von Althergebrachtem, so Certeau, suchten Mystiker:innen wie die Karmelitin Teresa von Ávila oder der Jesuit Jean-Joseph Surin nach spirituell erneuerten Verstehens- und Ausdrucksweisen für den christlichen Glauben und ‚erfanden‘ auf diese Weise ein stark subjektiv ausgerichtetes mystische Sprechen.

Meines Erachtens trifft für den Übergang vom 13. zum 14. Jahrhundert etwas Ähnliches zu – allerdings gegenläufig zu Raths oben nachgezeichneter Diagnose. Ich verstehe das Auftauchen der Gottes:freundinnen als Reaktion auf eine religiös erstarrte mittelalterliche Ständeordnung. Besonders deutlich wird dies, wie ich zeigen werde, am Beispiel der Umkehrung der traditionellen Lehrer-Schüler-Relation.

Die Bewegung der Gottesfreund:innen

Als „Gottesfreunde“ (die weibliche Form kommt in der Literatur quasi nicht vor) werden Gläubige beiderlei Geschlechts bezeichnet, die einen besonders vertrauten Umgang mit Gott pflegten. Ihren Wirkungskreis hatten sie im 14. Jahrhundert am Oberrhein, in Schwaben und Straßburg, in der deutschsprachigen Schweiz sowie teilweise auch im Kölner Raum. Zumeist, jedoch nicht ausschließlich, handelte es sich um Laienchrist:innen, die zivilen Berufen nachgingen und darüber hinaus – ähnlich den Ordensleuten der damaligen Zeit – eine auf Innerlichkeit und Mystik konzentrierte Spiritualität pflegten.

Überliefert ist ein zumeist anonymes, auf (Mittelhoch-)Deutsch verfasstes mystisch- spirituelles Schrifttum in Form von Predigten, Briefen, Traktaten und Visions literatur. Charakteristisch für die Bewegung der Gottesfreund:innen ist das Fehlen von stabilen Organisations- und Vergemeinschaftungsformen. Anders als das Konzept der monastischen und auch der mendikantischen Existenz, die ganz auf eine verbindliche Lebensordnung in Kommunitäten bzw. Ordensprovinzen hingeordnet war, blieben die Gottesfreund:innen zumeist ihrem familiären Umfeld verbunden.

Verbürgt sind Kontakte der Gottesfreund:innen zu Mystiker:innen aus dem Ordenskontext bzw. aus dem Klerikerstand. An erster Stelle ist in diesem Zusammenhang Johannes Tauler zu nennen, der in seinen Predigten gelegentlich auf die Gottesfreund:innen zu sprechen kommt. Regina Dorothea Schiewer wendet allerdings ein, dass sich Taulers Rede vom „Gottes frúnt“ bzw. „gotzfrúnt“ nicht „auf eine Gemeinschaft oder einen Zirkel von ‚Gottesfreunden‘“ beziehe. Ebenso standen Margaretha Ebner OP (um 1291 – 1351) im Dominikanerinnenkloster Maria Medingen und ihr geistlicher Korrespondenzpartner, der Weltpriester Heinrich von Nördlingen (um 1310 – spätestens 1379), in Kontakt mit Mitgliedern der Bewegung. 

Eine lange historische Existenz war der Bewegung der Gottesfreund:innen nicht vergönnt, denn schon „[w]enige Jahrzehnte nach Taulers Tod hört man nichts mehr von den Gottesfreunden. Ihr Anliegen aber lebt in der Erbauungsliteratur weiter und kam zum Teil im Pietismus und in der Erweckungsbewegung neu zur Geltung.“

Rulman Merswin und das Meisterbuch

Die zentrale Gestalt im Kreis der Gottesfreund:innen war der aus einer vermögenden Straßburger Patrizierfamilie stammende Kaufmann Rulman Merswin (1307– 1382). Er stand in Kontakt mit dem ebenfalls in der elsässischen Metropole wirkenden Tauler. 1347/48 wurde der Predigerbruder Merswins Beichtvater.  [...]


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