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Leseprobe 3 DOI: 10.14623/wua.2025.2.73-78
Anja Böning
Geschlecht in Recht und Arbeitsmarkt
Normen, Politiken, reflexionswürdige Verhältnisse
Recht schafft und normalisiert gesellschaftliche Strukturen. Indem es Positionen, Privilegien und Ressourcen zuweist, errichtet es Macht- und Exklusionsverhältnisse, in die Menschen in ihrer Vielfalt, mit ihren Biographien und Lebensentwürfen eingebunden sind und unterschiedlichen Zugang zu gesellschaftlichen Gütern (Verteilungsungerechtigkeit) und zu Bildung, beruflichem Aufstieg und Vermögen (Chancenungleichheit) haben. Recht kann aber auch instrumentell Einsatz finden, um Freiheit, Emanzipation, Ermächtigung und die Durchbrechung von Herrschaft und Marginalisierung zu erwirken. Historisch waren es vor allem Rechte von Frauen, die von der Gesellschaft nicht anerkannt und beschädigt wurden. In emanzipatorischen und rechtspolitischen Kämpfen wurde über Jahrhunderte gegen Recht protestiert, das Frauen von Teilhabe ausschließt, ihre Unterdrückung und die patriarchale Gesellschaftsordnung institutionalisiert und die Vormachtstellung des Mannes legitimiert. Erst seit der Reform des Ehe- und Familienrechts 1977 benötigen verheiratete Frauen in Deutschland nicht mehr die Genehmigung ihres Ehemannes, um einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können. Das spiegelt eindrücklich die historisch gewachsenen Ungleichheiten im Geschlechterverhältnis wider. Je nach Position können Rechtsnormen also „zugleich Zwangsgesetze und Gesetze der Freiheit“ sein. Gesetze informieren auch über herrschende gesellschaftliche Normen, denn in einer Demokratie bilden sie Vorstellungen der gesellschaftlichen Mehrheit ab. Angesichts der Perspektiven auf Recht als Zwangs- oder Freiheitsgesetz und seines Wandels zeigt sich, dass Recht durch Dialektik und Dynamik geprägt ist. Feministische Rechtskritik macht darauf aufmerksam, dass Rechte nicht etwas sind, was besessen werden kann, sondern Ausdruck sozialer Verhältnisse sind, die permanent verhandelt werden.

Dieser Beitrag fragt nach Geschlechter(un)gleichheiten im Feld von Recht und Arbeitsmarkt, stellt Normen zur Herstellung von Gleichheit und Gleichberechtigung dar, fragt nach ihren Implikationen für und ihren Verwicklungen mit sozialen Ungleichheiten und möchte die Herausforderungen andeuten, die sich in diesem Kontext im Umgang mit Geschlecht als einer Achse sozialer Ungleichheit zeigen.

Normen, Gleichheit, Geschlecht

Geschlechtergleichstellung ist ein Verfassungsauftrag, der in Art. 3 Abs. 2 GG normiert ist. Während in Art. 3 Abs. 2 GG in seinem ersten Satz Gleichberechtigung verankert („Männer und Frauen sind gleichberechtigt“) ist, findet sich im zweiten Satz der Bestimmung ein Gleichstellungsgebot, das 1994 nach der Wiedervereinigung in den Verfassungstext aufgenommen wurde: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG enthält ein Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Die Frage, was Gleichstellung, Gleichberechtigung und Gleichheit bedeuten und welche Bedeutung dem Recht dabei zukommt, ist allerdings nur mit einem Blick in die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu beantworten. Ging es anfangs darum, formale Gleichberechtigung zu realisieren und rechtlich fixierte männliche Privilegien und vergeschlechtlichte Rollenzuschreibungen etwa im Familien- und Eherecht zu überwinden, geht es heute um faktische Benachteiligung durch vermeintlich neutral abgefasste Rechtsbestimmungen (mittelbare Diskriminierung). In den Blick gerückt ist damit die tatsächliche Gleichstellung in unterschiedlichen Lebensbereichen. Fragen der Gleichheit stellen sich nicht mehr nur auf einer rein formal-rechtlichen Ebene als Gleichheit vor dem Gesetz. Denn während Menschen eben doch nicht gleiche Ausgangsbedingungen haben, um nicht ungleich behandelt zu werden, wie es ein formal symmetrisches Gleichheitskonzept postuliert, ist zu berücksichtigen, dass historisch gewachsene und strukturelle Ungleichheiten in Gesellschaften unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten zur Folge haben, von Ungleichbehandlung betroffen zu sein. Diesem Gleichheitsverständnis liegt eine materiell asymmetrische Idee von Gleichheit zugrunde, die tatsächliche Benachteiligungsrisiken von Gruppen berücksichtigt und auf wirtschaftlich-soziale Gleichheit abhebt. Mit Blick auf die Ungleichheitsdimension Geschlecht ist dieser Zugang ertragreich, da es sich bei der Gruppe Frau, die die Hälfte der Gesellschaft ausmacht, um eine traditionell benachteiligte soziale Gruppe handelt.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie Recht die Kategorien „Frau“ und „Geschlecht“ und ihr Verhältnis ausgestaltet. Zeigten bereits die Frauenbewegungen, dass die Gruppe „der“ Frauen mit Blick auf ihre Lebensentwürfe, soziale Situiertheit und dem grundsätzlich je individuellen Zusammentreffen unterschiedlicher Faktoren von Marginalisierung und Unterdrückung (sexuelle und Geschlechtsidentität, Alter, Gesundheitsstatus, Herkunft u. a.) heterogen ist und es mit Schwierigkeiten verbunden ist, von „den“ Frauen auszugehen, hat sich der Fokus der rechtlichen Analyse mehr und mehr von der „Frauenfrage“ auf Geschlechterverhältnisse verlagert, die, so die Annahme dekonstruktivistischer Ansätze oder des interaktionstheoretisch angelegten Konzepts des „doing gender“, gesellschaftlich hervorgebracht und sozial konstruiert sind. Geschlecht ist aus dieser Warte ein Ordnungsmuster von Gesellschaft. Aus einer solchen Perspektive geht es um die Beteiligung und Konstruktionsleistung des Rechts an einem Modell von Geschlecht im Sinne einer heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit Mann-Frau, aber auch um das Potential, es in Frage zu stellen und aufzubrechen, wie sich anhand der Entscheidung des BVerfG zur dritten Eintragungsoption im Personenstandsrecht5 „divers“ zeigen lässt. Hier hat das BVerfG rechtlich anerkannt, dass es Geschlechtsidentitäten jenseits der Frau-Mann-Dichotomie gibt, die als eine Facette des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das aus Art. 2 Abs. 1 i. V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet wird, und über Art. 3 Abs. 3 GG („Geschlecht“) vor Benachteiligung geschützt sind. Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) ermöglicht es inter* und trans* Personen inzwischen, selbstbestimmter eine Anpassung des Personenstandes vornehmen zu lassen. Dass Intersexualität und die Variation von Geschlechterdifferenzen nicht neu und auch nicht erstmalig vom Recht anerkannt werden, zeigt die Rechtsgeschichte. Bereits das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 enthielt in §§ 19ff. Regelungen zu „Zwittern“: „Wenn Zwitter geboren werden, so bestimmen die Aeltern, zu welchem Geschlecht sie erzogen werden sollen. Jedoch steht einem solchen Menschen, nach zurückgelegtem achtzehnte Jahre, die Wahl frey, zu welchem Geschlecht er sich halten wolle. Nach dieser Wahl werden seine Rechte künftig beurtheilt.“

Rechte von Frauen und Rechte marginalisierter Minderheiten dürfen und müssen nicht gegeneinander ausgespielt oder hierarchisiert werden. Sie sind zentrale Kategorien, neben anderen Achsen der Ungleichheit wie Herkunft, Behinderung usw., die auch in ihrer intersektionalen Verschränkung in den Blick zu nehmen sind, um Herrschaftsverhältnisse auszuleuchten. Ebenso geht es nicht um ein „gegen Männer“, sondern darum, zu erkennen, dass Frauen und Männer an der Aufrechterhaltung bestehender Verhältnisse beteiligt sind und beide unter der Gewaltförmigkeit und Destruktivität patriarchaler Normen leiden. [...]


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