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Leseprobe 2 |
DOI: 10.14623/wua.2025.3.109-115 |
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Ralf Lutz |
Zorn als moralische Emotion |
Moralpsychologische Erwägungen im Ausgang von Thomas von Aquin |
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Der Leumund des Zorns ist nicht der Beste. Das gilt auch, wenn wir mitunter von heiligem Zorn oder heiliger Wut sprechen und wenn wir verständliche und vielleicht sogar legitimierbare Formen des Zorns benennen wollen. Immerhin gilt der Zorn in christlicher Tradition als eine der Haupt- und Wurzelsünden. Auch reagieren wir mit moralischer Missbilligung gegenüber einer allzuleichten Verführbarkeit zum Zorn und erst recht gegenüber einem Zorn, der maßlos erscheint oder zu keinem Ende mehr kommt. Es lohnt also, einmal etwas genauer hinzuschauen und nach Struktur und Qualifizierung des Zorns als moralischer Emotion zu fragen. Ich werde im Folgenden zunächst eine kurze formale Definition moralischer Emotionen geben, gefolgt von einer ausführlichen Rekonstruktion der Emotionstheorie des Thomas von Aquin im Allgemeinen und seiner Theorie des Zorns im Besonderen und ende mit einem Ausblick.
Moralische Emotionen bei Thomas von Aquin
Das Verhältnis des Handlungssubjekts zum moralisch Guten scheint kein rein kognitives zu sein, sondern im besten Fall ein ganzheitliches Geschehen, in dem auch die Emotionen ihre Funktion haben, schließlich soll es ja auch den ganzen Menschen in Bewegung setzen. In der Verhältnisbestimmung von Vernunft und Emotion, von ratio und Affekt, hat zumeist klar die Vernunft den Vorrang bekommen, galt sie doch seit der Antike als das Hegemonikon, das Leitvermögen im Menschen. Die Vernunft als Hegemonikon im Menschen zu etablieren, wurde allerdings nicht selten erkauft durch eine Desavouierung der Emotionen – oder quasi als Gegenbewegung einer Depotenzierung der praktischen Vernunft (Hume). Wie könnte aber ein konstruktives Verhältnis von Vernunft und Emotion im Handlungsaufbau und im moralischen Haushalt des Menschen gedacht werden?
Eine allgemeine und zugleich formale Definition könnte moralische Emotionen als diejenigen Emotionen bestimmen, die an moralischen Urteilen, dem Handlungsaufbau und der Motivation zum Handeln beteiligt sind. Um Engführungen auf sog. moral-sense-Ansätze zu vermeiden, die nur eine begrenzte Anzahl von immer schon als moralisch interpretierten Emotionen zugelassen haben (Dankbarkeit, Scham, Schuld, Mitleid etc.), möchte ich auf eine Tradition zurückgreifen, deren begriffliche Voraussetzungen noch ein reiches moralpsychologisches Vokabular kennen: die passiones animae des Thomas von Aquin. Die passiones animae stellen die thomanische Emotionstheorie dar, sind aber nicht einfachhin mit einem modernen Emotionsbegriff zu identifizieren. Es handelt sich um einen umfangreichen Traktat: 26 Quaestionen (STh I–II, 22–48), prominent platziert innerhalb der thomanischen Ethik: nach dem Glückstraktat und eingerahmt von seiner Handlungstheorie; erst danach kommen der Sünden-, der Gesetzes- und der Gnadentraktat.
Passiones
Passiones kommen nach Thomas von Aquin allen Lebewesen zu, die eine Leib- Seele-Einheit (!) darstellen. Modell ist hier der Hylemorphismus. Sie können daher als ein psychisches Phänomen, das mit körperlichen Veränderungen einhergeht, verstanden werden. Semantisch meint passio (gr. pathos) ein Erleiden im Sinne einer Veränderung durch Einwirkung von außen, ein Widerfahrnis, das das ganze Lebewesen betrifft und eine intensive Auswirkung als seelische Antriebskraft hat. Thomas denkt sich die passiones als Bewegungen (motus) des sinnlichen Strebevermögens (appetitus sensitivus), die einmal auf körperlichen (Organ-) Veränderungen beruhen, aber zugleich in den Wirkbereich von Vernunft und Wille quasi hineinreichen – und damit gestaltet bzw. „geordnet“ werden können und gerade dadurch eine Zwischenstellung einnehmen, die weder einer Wahrnehmung, noch einem Wissen gleicht, aber dafür eine Gleichrichtung und „Ordnung“ aller Strebekräfte ermöglicht, da sie selbst den Strebekräften zugeordnet werden. Insgesamt scheint Thomas die passiones im Rahmen einer mehrfachen Verhältnisbestimmung zu verorten: (1) zur praktischen Vernunft und zum Willen, und (2) zu den sinnlich-naturalen Antrieben: ersteres, wenn der Gegenstand passio mit der Vernunft übereinstimmt, zweiteres, wenn das sinnliche Strebevermögen von der Vernunft geordnet ist und ihr damit „gehorcht“.
Thomas differenziert die passiones grundlegend (1) an ihrem Gegenstand und (2) über den Rekurs auf eine der drei Grundformen menschlichen Strebevermögens. Die Gegenstände zeigen sich dabei als erstrebenswertes Gut bzw. als zu vermeidendes Übel (bonum/malum). Er ordnet die passiones aufgrund ihrer Zwischenstellung dem sinnlichen Strebevermögen (appetitus sensitivus) zu, nicht dem Erkenntnisvermögen, weil sie unterschiedliche körperliche und seelische Bewegungen (motus) und (handlungsmäßige) Motivationen hervorrufen und das Subjekt hingezogen oder abgestoßen sein lassen. Er unterscheidet zwei Potenzen des sinnlichen Strebevermögens und damit zwei Klassen von passiones: iraszible (Widerstände angehende, überwindende, fliehende) und – konkupiszible (Gegenstände direkt begehrende, genießende, erleidende) passiones. Die Vielzahl an (elf) passiones soll auf vier Grundleidenschaften zurückgeführt werden und anhand der Polaritäten von Attraktion (Hinkehr) – Aversion (Abkehr) und Zeit (Gegenwart – Zukunft) unterschieden werden können: Lust/Freude (konkupiszibel: gaudium), Schmerz/Trauer (konkupiszibel: tristitia), Hoffnung (iraszibel: spes) und Furcht (iraszibel: timor). Die hier angedeutete Architektur der thomanischen passiones lässt ahnen, welche Strebenspotenzen sich jeweils ablösen und aufeinander folgen und welche passiones dabei ausgelöst werden. Thomas kennt schließlich elf passiones, zehn davon sind quasi komplementär angeordnet: Liebe und Hass, Begierde und Flucht, Lust/Freude und Schmerz/Traurigkeit, Hoffnung und Furcht, Verzweiflung und Wagemut – und eben der Zorn. [...]
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