 |
|
|
|
| Unsere Autoren |
|
 |
|
|
|
| Ausgaben der letzten Jahre |
 |
Die kompletten Ausgaben im PDF-Format |
| finden Sie hier. |
 |
|
 |
|
| Leseprobe 1 |
DOI: 10.14623/wua.2025.4.150-155 |
|
| Volker Leppin |
| Johannes Tauler – Impuls für die evangelische Kirche |
 |
Das Evangelische Gesangbuch führt als Lied Nummer 8 „Es kommt ein Schiff geladen“ – in guter ökumenischer Gemeinsamkeit mit dem aktuellen Gotteslob, in dem sich das Lied unter Nr. 236 findet. Die heutige Herkunftsangabe im Gesangbuch gibt an, dass das Lied von „Daniel Sudermann um 1626 nach einem Marienlied aus Straßburg um 1450“ gedichtet wurde. Darin haben sich relativ neue Erkenntnisse niedergeschlagen. Daniel Sudermann (1550 – nach 1630) selbst, ein Wanderer zwischen den Konfessionen, hatte das Lied auf Johannes Tauler zurückgeführt, mit dem er sich auf seinem religiösen Erkenntnisweg viel beschäftigte: „Ein vraltes Gesang / so vnter deß Herren Tauleri Schrifften funden / etwas verständlicher gemacht,“ notierte er, als er es in einer Liedersammlung publizierte. Tatsächlich aber hat Sudermann das Lied, wie ein handschriftlicher Vermerk belegt, aus einem Sammelmanuskript übernommen, das Mitte des 15. Jahrhunderts im Dominikanerinnenkloster Nikolaus in undis in Straßburg entstanden ist.
Nach einer Tradition, die Sudermann bekannt war, starb Tauler 1361 hier „bi siner swester in der garte.“ Das wurde gerne so verstanden, dass Johannes Tauler sich in seinen letzten, von Krankheit gezeichneten Tagen in das Kloster zurückgezogen habe, in dem seine leibliche Schwester lebte. Sicher ist das nicht – aber jedenfalls war das Kloster einer der Wirkungsorte des Predigers Tauler. Daher nahm die ältere Forschung wenigstens inhaltlich eine große Nähe zu Taulers Lehre an, ohne eine Autorschaft direkt zu behaupten. Mittlerweile wird man sogar an dieser Verbindung zweifeln müssen, denn Ruth Meyer konnte zeigen, dass sich eine Vorform des Liedes schon in einer älteren Liedersammlung findet, die in den dreißiger Jahren des 15. Jahrhunderts im gleichfalls dominikanischen Frauenkloster Katharinental in der Schweiz aufgezeichnet wurde, und darin liturgisch nicht ein Advents-, sondern „ein Weihnachtslied“ bildete, „das wohl der in den Dominikanerinnenklöstern besonders gepflegten Andacht zum Jesuskind entstammt.“
Das Ergebnis dieser etwas unsicheren Lage ist, dass man jedenfalls festhalten muss, dass der Überlieferungsstrang, der Johannes Tauler am deutlichsten einen Platz im evangelischen und ökumenischen Gedächtnis zu sichern scheint, nicht auf ihn selbst zurückzuführen ist, wohl aber auf die Popularität, die er, wie das Beispiel Sudermanns zeigt, im 17. Jahrhundert in protestantischen Kreisen genoss. Heute ist er im evangelischen wie im katholischen Raum längst von Meister Eckhart in den Schatten gestellt. Daher steht diese Verdrängung am Anfang der folgenden Darstellung, die dann über den Pietismus und die Reformorthodoxie zurück in die Reformationszeit zurückgeht.
Die Verdrängung Taulers durch Eckhart im 19. Jahrhundert
Es ist wiederum Daniel Sudermann, der für die Wiederentdeckung Eckharts eine entscheidende Rolle spielt, doch bei ihm noch in der klaren Zuordnung von „Lieblingsautor […] Tauler und dessen Vorläufer Meister Eckhart“, wie Ingeborg Degenhardt festhält. Noch 1837 hat der Pädagoge Karl Wilhelm Eduard Mager Meister Eckhart als „Dominikanermönch und Schüler des gottseligen J. Tauler“ erklären können und damit die historischen Verhältnisse umgekehrt. Er tat dies in dem Versuch, die Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770‒1831) zu erklären, der seinerzeit durch den katholischen Franz von Baader (1765‒1841) Eckhart kennengelernt hatte, der sich wiederum mit Eckhart vor allem über seine Beschäftigung mit dem lutherischen Mystiker Jaco Böhme (1575‒1624) befasste:
„Ein Dominikanermönch des 13. Jahrhunderts, Meister Eckhart, hielt, wie Baader mitteilt, Predigten, in denen er z. B.: sagte: ‚Das Auge, mit dem mich Gott sieht, ist das Auge, mit dem ich ihn sehe; mein Auge und sein Auge sind eins. In der Gerechtigkeit werde ich in Gott gewogen und er in mir. Wenn Gott nicht wäre, so wäre ich nicht; wenn ich nicht wäre, so wäre Gott nicht. Dies ist jedoch nicht not zu wissen; denn es sind Dinge, die leicht mißverstanden und nur im Begriff erfaßt werden können.“
Zum Hintergrund
Mit diesen tastenden Versuchen begann die Etablierung der „Ansicht über Eckhart als Begründer des deutschen Denkens“. Zwar soll noch Arthur Schopenhauer (1788‒1861) ausgerufen haben: „Ja, das sind meine Geistesgenossen, dieser [i.e. der Autor der Theologia deutsch] und Eckart und der Tauler“16, aber der Letztere verschwand immer mehr im Schatten seines Lehrers. Spätestens mit der philologisch fragwürdigen17 Eckhart-Ausgabe F ranz Pfeiffers v on 1 85718 dominierte dieser – historisch zu Recht – das Verständnis der Mystik des späten Mittelalters. Damit lief eine Geschichte intensiver Taulerrezeption im Protestantismus aus.
Spener
Dass Schopenhauer von Tauler und der Theologia deutsch schwärmte, ist durchaus nicht originell – freilich fehlt Luther in der Reihe, wenn man auf die Leseempfehlungen blickt, die Phillipp Jacob Spener 1675 in seinen Pia desideria zur Reform von Theologie und Frömmigkeit gab: „Es möchte auch nutzlich seyn / daß die einfältige Büchlein / die Teutsche Theologi, sodann Tauleri Schrifften / auß welchen gleichwol / nechst der Schrifft / unser theure Luther worden / was er gewesen ist / in die hände der Studiosorum mehr gebracht / und dero gebrauch ihnen recommendiret würde.“
Die Pia desideria waren nicht irgendein Buch des Protestantismus. Sie gelten als die programmatische Begründungsschrift des Pietismus, der stärksten Erneuerungsbewegung, die der Protestantismus nach der Reformation erfahren hat. Seine Frömmigkeit war über weite Strecken hinweg mystisch geprägt, und Tauler spielte wiederholt eine wichtige Rolle darin. Auch Johann Jakob Schütz (1640‒1690), anfänglich ein Motor der pietistischen Reformbewegung, der sich später aber von Spener und der Kirche löste und seine Spiritualität radikalisierte, tat dies offenkundig unter dem intensiven Einfluss Johann Taulers.
1681 unterstütze Spener seine Leseratschläge durch die Herausgabe von Taulers Predigten. In seiner Vorrede verwies er zwar entschuldigend darauf, dass Tauler noch manches „aus den Päpstischen Irrthumen“ rede, rechnete ihn aber zu den Zeugen der Wahrheit in der Kirchengeschichte und betonte, dass besonders die Mystiker „in dem Hauptarticul unsrer Rechtfertigung und Seligmachung“ richtig gelehrt hätten. Tauler wurde so, inmitten aller antikatholischen Invektiven, zu einem reformatorischen Prediger, dessen Botschaft auch für die gegenwärtige Reform der Kirche wichtige Impulse geben konnte, vor allem für die Ausrichtung am inneren Menschen. Er wurde so geradezu zu dem Modell des pietistischen Predigers schlechthin, der genau diese Aufgabe zu erfüllen hatte.
Dorsche und Arndt
Für die Hochschätzung Taulers berief Spener sich nicht allein auf Martin Luther, sondern auch auf den Straßburger Theologieprofessor Johann Georg Dorsche (1597‒1659) und vor allem Johann Arndt (1555‒1621). Arndt kann man wahlweise als Wegbereiter des Pietismus oder Vertreter der Reformorthodoxie verstehen – jedenfalls als eine Übergangsgestalt, die selbst in ihrer Zeit außerordentlich strittig war.
Sein „vier Bücher vom wahren Christentum“ aber, auf welche Spener verweist, wurden zu einer Art lutherischem Hausbuch, von dem gilt: „In der Geschichte des Protestantismus hat abgesehen von der Bibel kein Buch eine solche Verbreitung gefunden wie die ‚Bücher vom wahren Christentum‘ von Johann Arndt“. Und eben dieses Werk ist, vor allem im dritten Buch, zutiefst beeinflusst von Johannes Tauler. Es behandelt nach Schrift und Leben Christi das Gewissen, ehe dann das vierte Buch vom Buch der Natur spricht. Ausdrücklich war Tauler für Arndt derjenige, der half, die Bibel im Glaubensleben zum Sprechen zu bringen: „Weil die gantze Heilige | Schrifft auff das Hertz des Menschen siehet vnnd dringet so ist die gantze Theologia des Tauleri, auff den inwendigen menschen gerichtet/ vnnd auff den innern grund des Hertzens oder der Seele. (…) Das ist: Was die Heilige Schrifft vnd rechtmessige erklärung der Schriftt außwendig handelt / das soll im Hertzen grunde / in That vnd Warheit also befunden werden.“
Johannes Tauler kommt hier nicht nur in das Herz des Menschen, er kommt auch in das Herz des Luthertums: Die Schrift gewinnt erst als lebendiges Wort Gestalt, und der, der dazu verhilft, ist Johannes Tauler. Es ist angesichts dessen kein Wunder, dass auch Johann Arndt bereits die Predigten Johannes Taulers neu herausgegeben hat und schon in der Titelgebung auf dessen Bedeutung für Martin Luther verwies. Dass dies sogar mit im Vergleich zu anderen Titelpartien vergrößerten Lettern geschah, dürfte seinen Grund darin haben, dass Tauler Anfang des 17. Jahrhunderts eher mit häretischen Strömungen assoziiert wurde. Arndt, wie später Spener, holte ihn dahin zurück, wohin er gehörte: in die Mitte der Reformation, zu Martin Luther.
Luther
Der Einfluss Johannes Taulers auf das Werden Martin Luthers ist in der Tat gewaltig. In einer intellektuellen Abenteuerreise las Luther in seinen frühen Jahren Augustin, Paulus und Tauler, und aus ihnen gemeinsam formte er seinen Protest gegen die Veräußerlichungen der mittelalterlichen Kirche, vor allem gegen den Ablass. Es dürfte kein Zufall sein, dass Luther nur wenige Jahre, bevor er mit den Ablassthesen am 31. Oktober 1517 dazu aufforderte, dass das ganze Leben der Christen Buße sein sollte, begeistert von Ausführungen Taulers zur Buße war. Wo dieser die Wichtigkeit der permanenten Buße einschärfte und erklärte, dass dafür der Gang zum Beichtvater unnötig sei, notierte Luther: „Hoc nota tibi“ und „utilissimum consilium“, „Merk dir das“ und „überaus nützlicher Ratschlag“. Das macht den Kern seiner ersten beiden Ablassthesen aus, über die er denn auch nur ein halbes Jahr später an seinen Beichtvater Johann Staupitz schreiben sollte: „Freilich bin ich der Theologie Taulers und jenes Büchleins gefolgt, das du neulich unserem Christian Goldschmied in den Druck gegeben hast.“ Wenn Spener später sagen sollte, dass Luther aus der Theologia Deutsch, eben jener spätmittelalterlichen mystischen Schrift, auf die Luther hier anspielt, und Tauler geworden sei, was er war, so mag das übertrieben gewesen sein – falsch war es nicht. Man kann die Wirkungen Taulers oder der Mystik auf Luther insgesamt noch in viele Bereiche verfolgen.
Im vorliegenden Zusammenhang besonders auffällig mag der Umstand sein, dass Johann Arndt Taulers Predigten bei der Veröffentlichung den Titel einer „Postilla“ gab. Darin spürte er die Ähnlichkeit zu jenem Werk, durch das Martin Luther die lutherische Predigtkultur prägte: Seine Postille bot Predigten durch das ganze Kirchenjahr zu den einschlägigen Predigttexten. Arndt hatte genau gespürt, dass das der Form entsprach, die Luther selbst in Taulers nach dem Kirchenjahr geordneter Predigtsammlung gefunden hat.
Luther mag den spätmittelalterlichen Mystiker hier nicht absichtlich nachgeahmt haben. Gleichwohl hat er in seiner Theologie wie in seinen Predigten immer auch etwas vom Geist Johannes Taulers fortgetragen und damit die lutherische Konfessionskultur der Vormoderne tief geprägt. Dass Tauler heute im evangelischen Glaubensleben weitgehend in Vergessenheit geraten ist, muss ja nicht so bleiben. Denker wie Arndt, Spener und Luther selbst erinnern daran, dass sich bei diesem spätmittelalterlichen Dominikaner eine Sprache findet, die das zum Ausdruck bringt, was für das Luthertum zentraler Inhalt des Evangeliums ist: die Gnade Gottes.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
| Anzeigen |
| Mit Anzeigen und Inseraten erreichen Sie Ihre Zielgruppe. Anzeige aufgeben |
 |
|
Unsere neue Dienstleistung für Verlage, die Ihr Abogeschäft in gute Hände geben wollen.
|

mehr
Informationen
|
 |
|
| Bücher & mehr |
|
|