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Leseprobe 1 |
DOI: 10.14623/wua.2025.3.103-108 |
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Johannes Roth |
Zeit des Zorns? |
Der Zorn Gottes in der Hebräischen Bibel |
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Unsere Gesellschaft zeigt sich in den gegenwärtigen Krisen, Konflikten und Kriegen als hoch emotionalisiert. Dabei treten auch der Zorn, die Wut und der Ärger zu Tage. Gerade der Zorn wurde vielfach verdrängt und teilweise auch vergessen. Er wird heute vor allem als negative Emotion gesehen. War das schon immer so? Kann man den Zorn vielleicht auch anders sehen? Immer wieder taucht auch die Frage auf, ob der Zorn Gottes in Kriegen und politischen Konflikten instrumentalisiert wird und ob sie im Namen Gottes geführt werden? Bereits in den Texten der Hebräischen Bibel – also „unserem Alten Testament“ –, die sowohl im Judentum als auch im Christentum eine zentrale Rolle spielen, ist vom Zorn die Rede, aber nicht so sehr vom Zorn der Menschen, sondern vielmehr vom Zorn Gottes. Was bedeutet es, vom Zorn Gottes zu sprechen, und wie verhält sich sein Zorn zu seiner Barmherzigkeit und seinen anderen Eigenschaften?
Ein Zorn oder mehrere Formen von Zorn?
Die hebräische Sprache kennt eine Reihe von Begriffen, die das Wortfeld „Zorn“ bilden und die Emotionen Zorn, Wut, Grimm oder Ärger ausdrücken. Die drei häufigsten Wörter für Zorn in der Hebräischen Bibel seien hier näher erklärt.
Als erstes ist das hebräische Wort ’ap (= [Zornes-]Schnauben) zu nennen, das auch Nase bedeuten kann. Der Zorn wird also mit einem Körperteil verbunden. Dies ist ein Kennzeichen für die biblische Vorstellungswelt, in der die verschiedenen Emotionen mit einem Körperteil und einer körperlichen Äußerungsformen verbunden sind. Zu dem Substantiv ’ap gehört das davon abgeleitete Verb ’anap (= zürnen). Beide zusammen bilden die Mehrzahl der Belegstellen für die Emotion Zorn. Das Nomen kommt insgesamt 210-mal und das Verb 14-mal vor. Hinter der Doppelbedeutung von „Nase“ und „Zorn“ steht wohl das Bild vom vor Zorn bzw. Wut schnaubenden Menschen. Diese Emotion tritt demnach aus den Nasenlöchern hervor.
Am zweithäufigsten wird das Nomen haron (= Zornesglut) und das davon abgeleitete Verb harah (= vor Zorn [ent]brennen) verwendet, das Nomen 47-mal und das Verb 89-mal. Der Zorn Gottes entbrennt, wenn das Volk Israel die Verpflichtungen, die es mit dem Bund, den es mit Gott geschlossen hat, bricht. Dies wird zum Beispiel in Richter 2,20 deutlich: „Da entbrannte der Zorn des Herren gegen Israel. Er sagte: Weil dieses Volk meinen Bund übertreten hat, zu dem ich ihre Väter verpflichtet habe, und weil es nicht auf meine Stimme gehört hat.“ Häufig folgt dies dem folgenden Muster: Abkehr des Volkes – Zorn Gottes (Gericht) – Umkehr des Volkes. An dritter Stelle ist das Nomen hemah (= Zornesglut, Grimm) mit 118 Belegstellen zu nennen. Damit ist im Unterschied zum Zornes-Schnauben (’ap), das äußerlich und damit sichtbar ist, ein innerer Prozess des Glühens gemeint. Beide Bedeutungen tauchen nebeneinander in Deuteronomium 29,22 am Ende des Verses auf: „… in seinem Zorn und seinem Grimm.“ Hier wird unter anderem auf die Zerstörung von Sodom und Gomorra Bezug genommen; die Begrifflichkeit steht damit auch im Zusammenhang mit dem Gericht Gottes.
Weitere Begriffe, die zum Wortfeld „Zorn, Ärger, Wut“ gehören, sind ka‘as (= zornig sein, zum Zorn reizen; Verdruss) und qaṣap (= zürnen; Zorn), die beide sowohl als Verb als auch als Nomen belegt sind. Außerdem kommen hinzu: ‘abar (= zürnen, ärgerlich werden), za‘am (= seinem Zorn freien Lauf lassen, zürnen, verwünschen), za‘ap (= zornig werden, wüten) und ragaz (= zürnen, toben). Ein weiteres Wort für Zorn ist qin’a, das in seiner Grundbedeutung Eifer und Leidenschaft meint, aber auch Zorn bedeuten kann, gerade wenn es von Gott ausgeht. Es wird vor allem in der Rede vom eifersüchtigen Gott verwendet und wenn es um dessen Allein-Verehrung geht. Das Begriffsfeld für die Beschreibung der Emotionen Zorn, Wut und Ärger ist also sehr breit. In den alttestamentlichen Texten werden die unterschiedlichen Wörter häufig nebeneinander und teilweise auch synonym verwendet. Es lassen sich keine eindeutigen Unterschiede in der Bedeutung erkennen. Die meisten Begriffe verbindet, dass sie von einer Erregung des Körpers hergeleitet sind und dass die Zornesglut wie eine Flüssigkeit ausgegossen wird (vgl. zum Beispiel Psalm 79,6; Jeremia 44,6; Klagelieder 2,4; Ezechiel 7,8). Immer wieder wird der Zorn auch mit brennendem Feuer in Verbindung gebracht (vgl. zum Beispiel Exodus 32,10; Jesaja 9,18; Nahum 1,6).
Der Zorn als Eigenschaft Gottes
In den biblischen Texten ist sehr viel häufiger die Rede vom Zorn Gottes als vom Zorn der Menschen, ungefähr in einem Verhältnis von drei zu eins. Es ist also den Autoren der biblischen Texte nicht fremd, Gott Emotionen und Emotionalität zuzusprechen. Der Zorn ist nur ein Aspekt des Anthropomorphismus (= Ähnlichkeit mit den Menschen) und Antropopathismus (= Ähnlichkeit mit menschlichen Gefühlen und Leidenschaften), der Gott zugeschrieben wird. Die Rede vom Zorn in Verbindung mit Gott bedeutet aber nicht, dass der Gott der Bibel gewalttätig, impulsiv oder unberechenbar ist, „sondern dass die immer neu ausgehandelte Spannung von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit im Gottesbild in das Zentrum der bibl(ischen) Gottesvorstellungen und damit der Bibl(ischen) Theol(ogie) gehört“. Die Theologie und auch die Menschen verdrängen gerne die dunklen Seiten Gottes und eröffnen damit eine Spannung zwischen „dem bösen Gott des Alten Testaments“ und „dem lieben Gott des Neuen Testaments“. Dies führt allerdings zu einer Verharmlosung Gottes, und die Gerechtigkeit Gottes hat dann keinen Platz mehr. „Der Z(orn) Gottes ist theol(ogisch) unverzichtbar, auch wenn er eine bleibende Ambivalenz im Gottesbild festhält.“ Neben der Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Gnade und Liebe gehört also auch der Zorn zu den Eigenschaften Gottes. Dieser zentrale Aspekt des biblischen Gottesbildes darf nicht geleugnet werden. Er ist „als Modus seiner Gerechtigkeit und Liebe zu verstehen“ und „ist kein unberechtigter Gefühlsausbruch eines (dem Klischee entsprechenden) launischen und unberechenbaren ‚Alten‘, sondern eine Reaktion Gottes und theol(ogische) Deutekategorie“. Denn sein Zorn entbrennt nicht ohne Grund oder Anlass, sondern in der Regel dadurch, dass die Menschen durch ihr Handeln von Gott und seinen Geboten abfallen und dadurch seine Heiligkeit infrage stellen. Weitere Gründe sind soziale Benachteiligung und Unrecht sowie das Murren über Gott. Insgesamt lassen sich vier Typen von Gottes Zorn herausarbeiten:
„1) Zorn als Reaktion auf die Verletzung des Heiligen, 2) Zorn als Reaktion auf menschliches Fehlverhalten (individuell oder kollektiv), 3) Zorn gegen Feinde (individuell wie kollektiv) und 4) unverständlicher Zorn Gottes.“
Zorn – keine Wesenseigenschaft Gottes
Jörg Jeremias kommt in seiner Studie zum Zorn Gottes im Alten Testament zu dem Fazit, „dass das Wissen vom Zorn Gottes für die reife Theologie des Alten Testamentes ab dem Exil schlechterdings konstitutiv gewesen war. Es war dieses Wissen, das Israel die entscheidende Hilfe bot, um den Bruch seiner Geschichte, bei dem ihm mit Land, Königtum und Tempel alle wesentlichen Stützen seines frühen Glaubens geraubt worden waren, zu überstehen und doch an seinem überlieferten Glauben in veränderter Gestalt festzuhalten“.
Im Unterschied zur Barmherzigkeit und Gnade zählt der Zorn aber nicht zum Wesen Gottes, denn in der zentralen und im Alten und Neuen Testament häufig zitierten Selbstvorstellungsformel Gottes und seiner Prädikationen heißt es im Buch Exodus: „Der Herr ist der Herr, ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue.“ (Exodus 34,6). Wörtlich steht im hebräischen Text aber nicht langmütig, sondern eigentlich langnasig12 oder langsam zum Zorn. Gemeint ist damit ein Zögern bei Zornesausbrüchen. Gott ist also kein „jähzorniger Hitzkopf“. Anders als seine Gnade, die nie endet, ist sein Zorn zeitlich begrenzt. „Die Hoffnung auf das Übergewicht der Barmherzigkeit und Gnade hat das Alte Testament ja mit der genannten Gnadenformel selbst ebenfalls formuliert.“
Zorn und Gericht
Der Zorn Gottes zeigt sich oft im Gericht Gottes und ist geschichtstheologisch von zentraler Bedeutung. In der Geschichtstheologie werden Zeiten der Not und der Katastrophe, wie zum Beispiel das Babylonische Exil, auf das Handeln Gottes zurückgeführt. Dieses hat seinen Ursprung im berechtigten Zorn Gottes, der eine bestimmte Zeit lang andauern kann und zur Bekehrung und zum Umdenken der Menschen führen soll. Die prophetische Literatur verbindet in ihrer Gerichtseschatologie den Zorn Gottes mit dem Tag Jhwhs, der auch Tag des Herrn oder Tag des Zorns genannt wird. Dieser Tag wird zum Synonym für das Gericht Gottes und der älteste Beleg dazu ist wohl im Buch Amos zu finden: „18 Weh denen, die den Tag des Herrn herbeisehnen!/ Was nützt euch denn der Tag des Herrn?/ Finsternis ist er, nicht Licht. 19 Es ist, wie wenn jemand einem Löwen entflieht/ und ihn dann ein Bär überfällt; kommt er nach Hause/ und stützt sich mit der Hand auf die Mauer,/ dann beißt ihn eine Schlange. 20 Ist nicht der Tag des Herrn Finsternis/ und kein Licht,/ Dunkel und ohne Glanz?“ (Amos 5,18–20). Diese Zeit wird voll und ganz von Jhwh beherrscht. Das Datum ist den Menschen nicht bekannt, aber es ist ein bestimmter Tag, an dem der Zorn Gottes entbrennt, dem niemand entkommen kann. Durch die Rede vom Zorn Gottes sollen falsche und nicht tragfähige Sicherheiten zerschlagen und Katastrophen erklärt werden. Allerdings darf der Zorn Gottes dabei nicht von der Vorstellung der übergeordneten Gerechtigkeit Gottes getrennt und auch nicht als Hass missverstanden werden.
Ein-Blick: Der Zorn Gottes im Buch Zefanja
Der Zorn Gottes bzw. der Zorn Jhwhs spielt in vielen Texten der Hebräischen Bibel eine zentrale Rolle. Exemplarisch soll hier ein Blick in das Buch Zefanja, das ein Teil des Zwölfprophetenbuchs ist, geworfen werden. Auf den Zorn zu Beginn des Buches folgt am Ende des Buches die Barmherzigkeit Gottes. Damit entspricht der Aufbau dieser kleinen Schrift dem aus der Prophetie bekannten dreigliedrigen eschatologischen Schema: auf das Gericht über Jerusalem zu Beginn folgt das Gericht über die Fremdvölker und am Ende das Heil und die Rettung für die Völker und Jerusalem, auch wenn nicht alle gerettet werden und die Barmherzigkeit Gottes erfahren. Denn das Gericht bleibt nicht ohne Folgen und führt schon auch zu Konsequenzen. Das Buch Zefanja unterscheidet sich aber etwas von diesem Schema: zu Beginn erfolgt direkt die Androhung eines universalen Gerichts und es wird die Vernichtung der gesamten Schöpfung angekündigt. Dies steht in Spannung und Widerspruch zu dem Versprechen Gottes nach der Sintflut, das er Noah gegeben hat und mit dem er eigentlich seinen Zorn begrenzt hat: „Ich richte meinen Bund mit euch auf: Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben.“ (Genesis 9,11) Der Zorn Gottes wird im Buch Zefanja erregt durch die oben genannten Gründe. Die Menschen verstoßen gegen die Gebote Gottes, sowohl im kultischen als auch im sozialen Bereich. Mit diesem Gericht wird auch der Tag des Herrn verbunden (vgl. Zefanja 1,7), der ein paar Verse später Tag des Zürnens/Zorns genannt wird (vgl. Zefanja 1,15.18). Rezeptionsgeschichtlich ist interessant, dass der christliche Hymnus „Dies irae“ („Tag des Zorns“) auf Zefanja 1,14–18 zurückgeht. Es ist ein Hymnus über das Jüngste Gericht, der im Mittelalter entstanden ist. Er wird dem Franziskaner Thomas von Celano zugeschrieben, wobei dies bis heute durchaus umstritten ist. Bis zur Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1970) war dieser Hymnus Teil des Requiems, der Totenmesse.
Die Verse 14 bis 18 des ersten Kapitels des Zefanjabuches sind sehr poetisch gestaltet und enthalten im hebräischen Text viele Alliterationen und Wortwiederholungen. Gerade die Alliterationen, aber auch der Sprachklang und die Sprachmelodie können in den Übersetzungen nicht ausreichend zum Ausdruck gebracht werden. Was aber transportiert werden kann, ist die Bedrängnis, Schärfe und Härte des Tages. Durch die Beschreibung des Tages wird eine richtige Drohkulisse aufgebaut, die laut und machtvoll auf die ganze Erde zukommt. Wie Hammerschläge wirkt der Beginn einer jeden Zeile in den Versen 15 und 16 im hebräischen Text: sechs Mal beginnt es mit dem hebräischen Wort yom (= Tag). Jedes Mal wird ein neues Attribut genannt, durch das der Tag gekennzeichnet ist: Zorn, Angst, Bedrängnis, Verwüstung, Einöde, Finsternis, Dunkelheit, Gewölk, Wolkendunkel, Widderhorn und Kriegsgeschrei. Der Tag ist also furchterregend, dunkel und laut. Es richtet sich gegen die befestigten Städte und gegen die hohen Burgen. In Vers 17 folgt kurz und knapp die Begründung für den Tag des Zürnens Jhwhs: „[…] denn sie haben sich gegen den Herrn versündigt […]“. Der Prophet Zefanja kritisiert „das Gebaren der höfischen Herren, des Händlervolkes und der selbstzufriedenen, religiös gleichgültigen Reichen“.
Begrenztheit des Zorns
Historisch könnte hier auf den Untergang des Südreichs Juda im Jahr 587/6 v. Chr. Bezug genommen sein und es wäre dann eine Reaktion Jhwhs auf das Verhalten der Jerusalemer Oberschicht. Am Ende des ersten Kapitels des Buch Zefanja wird der Eindruck erweckt, dass niemand verschont wird. Aber direkt zu Beginn des zweiten Kapitels gibt es eine Art Handlungsanweisung für die Demütigen, wie man sich retten kann, selbst am schrecklichen Tag des Zorns des Herrn. Dort heißt es: „1 Sammelt euch, tut euch zusammen, du Volk, das nichts erstrebt, 2 ehe ihr zerstreut werdet/ wie zerstiebende Spreu,/ ehe der glühende Zorn des Herrn über euch kommt,/ ehe über euch der Tag des Zorns des Herrn kommt! 3 Sucht den Herrn, all ihr Gedemütigten im Land, die ihr nach dem Recht des Herrn lebt! Sucht Gerechtigkeit,/ sucht Demut!/ Vielleicht bleibt ihr geborgen/ am Tag des Zorns des Herrn.“ (Zefanja 2,1–3) Übertroffen wird dies mit der Verheißung für das demütige und arme Volk und dem Aufruf zur Ermutigung und Freude am Ende des kurzen Buches. Wieder ist von einem Tag die Rede, aber dieses Mal vom Tag der Freude, quasi dem Gegen-Tag zum Tag des Zorns: „16 An jenem Tag wird man zu Jerusalem sagen: Fürchte dich nicht, Zion!/ Lass die Hände nicht sinken! 17 Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte,/ ein Held, der Rettung bringt. Er freut sich und jubelt über dich,/ er schweigt in seiner Liebe, er jubelt über dich und frohlockt,/ wie man frohlockt an einem Festtag.“ (Zefanja 3,16–17). Am Ende steht die Freude, die Liebe und die Rettung. Das Buch Zefanja ist also ein gutes Beispiel für die Kraft und Wirkmächtigkeit des Zornes Gottes. Es zeigt sich, dass der Zorn zu den Eigenschaften Gottes gehört, aber nicht zu seinem Wesen, denn der Zorn ist im Unterschied zur Gnade und Barmherzigkeit begrenzt.
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