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Leseprobe 1 DOI: 10.14623/wua.2025.2.53-59
Thomas Hieke
„Männlich und weiblich erschuf er sie“ (Gen 1,27; 5,2)
Aspekte einer queer-integrierenden Bibelauslegung
„Hinsichtlich der gendersensiblen Schreibweise gebrauche ich das übliche generische Maskulinum, so dass die maskuline Form auch das feminine Geschlecht umfasst.“ Dieser Satz steht im Vorwort eines 2024 erschienenen Methodenbuchs zur Exegese. Das so genannte „generische Maskulinum“ ist jedoch nicht geeignet, andere Geschlechter einzubeziehen. Eine „gendersensible“ Sprache und auch eine solche Exegese muss anders ansetzen. Da es mir nicht um einzelne Zielgruppen geht, schlage ich vor, von queer-integrierender Bibelauslegung zu sprechen. Ziel ist es, Menschen nicht aufgrund ihrer geschlechtlichen oder sexuellen Identität implizit, z. B. durch heteronormativ geprägte Formulierungen, auszuschließen. Nach einigen Begriffsklärungen folgen zwei Beispieltexte und ihre exegetische Erschließung.

Begriffsklärungen

An Begriffen und ihrer klaren Definition hängt viel. „Gender“ ist das englische Wort für das soziale Geschlecht im Unterschied zum biologischen Geschlecht (englisch: sex). Klärungsbedarf besteht insofern, als beide Wörter im Deutschen mit „Geschlecht“ wiedergegeben werden.

Die sexuelle Identität beschreibt die Identität von Personen im Hinblick auf ihre romantische Liebe (sexuelle Anziehung). Dies kann gleichgeschlechtlich liebende Menschen, also frauenliebende Frauen (Lesben), männerliebende Männer (Schwule), heterogeschlechtlich liebende Menschen (männerliebende Frauen, frauenliebende Männer), frauenund männerliebende Menschen (Bi), divers- und geschlechterunabhängig liebende Menschen (PAN) umfassen.

Die geschlechtliche Identität ist das Geschlecht, mit dem sich ein Mensch selbst identifiziert: Bei vielen Menschen stimmt die Geschlechtszuweisung seit ihrer Geburt mit ihrer geschlechtlichen Identität überein (cis). Manche Menschen können sich nicht mit dem ihnen (eindeutig) zugewiesenen Geschlecht identifizieren (trans), manche können sich nicht nur einem biologischen Geschlecht zuordnen (inter). Manche können sich keinem sozialen Geschlecht zuordnen (nicht-binär oder nonbinär: auf einem Spektrum zwischen den Polen männlich und weiblich bzw. keiner Kategorie zugehörig). Die Bezeichnung trans* bzw. inter* mit Asterisk schließt sie mit ein.

Mit dem Begriff queer bezeichnen sich Menschen vielfältiger geschlechtlicher und sexueller Identitäten. Diese Selbstbezeichnung verflüssigt und weitet die traditionellen cis- und heteronormativen Denkkategorien der Gesellschaft. In den 1990er Jahren wurde der einst negativ konnotierte Begriff („schräg, seltsam“) als Selbstbezeichnung ins Positive gekehrt. Queer steht heute auch für Vielfalt in geschlechtlicher und sexueller Hinsicht. Eine Vereinseitigung des Sexuellen und Geschlechtlichen als allein zulässig für eine Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau wird als heteronormativ bezeichnet. Eine binäre Sicht der Geschlechter anerkennt nur zwei Geschlechter, männlich und weiblich, ohne einen Bereich dazwischen. Dagegen sieht eine bipolare Sicht die Pole, denen sich die meisten Menschen zuordnen können, und lässt einen Bereich dazwischen zu. In diesem Fall sind die Eigenschaften als dimensional zu betrachten, die ein Kontinuum einschließen (z. B. auch die Körpergröße). Bei einer kategorialen Sicht gibt es keine Zwischenwerte (z. B. die Räder eines Autos, feste Schubladen). Kategoriale Sichtweisen vereinfachen, treffen aber oft nicht die Wirklichkeit. Bei „Geschlecht“ ist das der Fall: Es gibt unendlich viele Ausprägungen zwischen den Polen.

Gen 1,27 als erstes Beispiel

Die bekannte Stelle im ersten Schöpfungstext der Bibel, Gen 1,27, lautet in möglichst wörtlicher Übersetzung: Und es erschuf Gott den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn, männlich und weiblich erschuf er sie.

Die sogenannte Gottesbildlichkeit ist als Funktion und Aufgabe zu verstehen („als Bild“): Der Mensch repräsentiert als lebendige Statue die Gottheit, wie ein Bild des Königs dessen Machtbereich und Präsenz darstellt. Die Erschaffung erfolgt als „männlich“ und „weiblich“ (Adjektive). Damit ist zu fragen, ob es sich um Kategorien oder Dimensionen handelt, um ein binäres Schema oder ein bipolares Spektrum. Die traditionelle Übersetzung „als Mann und Frau“ (Substantive) unterstellt eine Binarität.

Eine traditionelle, moderne Auslegung

In einem Kommentar von 2018 zum hebräischen Text von Gen 1,27 ist neben der Randbemerkung „Bedeutung für die Genderfrage“ zu lesen: „Dieses Menschengeschlecht ist also eines, und es begegnet in zwei Ausgestaltungen, ‚männlich und weiblich‘ (ebenso Gen 5,2). Frauen und Männer sind beide in gleicher Weise als Gottes Statue geschaffen und haben demnach dieselbe Würde und denselben Wert. Zudem deutet die Aufgliederung in die beiden Geschlechter an, dass sie aufeinander verwiesen sind, auch wohl, dass sie nur gemeinsam ‚Menschsein‘ verkörpern, und vielleicht sogar, dass sie nur zusammen Gottes Statue sind.“

Diese Formulierungen klingen für den überwiegenden Teil der Menschheit ansprechend, wirken aber unter einem queeren Blickwinkel exklusiv. (1) Von den Adjektiven „männlich und weiblich“ wird zu den Substantiven „Frauen und Männer“ weitergeleitet – Adjektive und Substantive sind aber nicht dasselbe. Was ist mit einem Menschen, der sich selbst nicht eindeutig als „Frau“ oder „Mann“ identifiziert, also non-binär ist? Dieser Mensch kann männliche und weibliche Dimensionen haben, passt aber in keine der beiden Kategorien eines binären Geschlechterverständnisses.

(2) Dass beide (!) Geschlechter „aufeinander verwiesen“ seien, wirkt so, als sei der statistische Häufigkeitsfall einer heterosexuellen Beziehung zwischen Mann und Frau der einzig mögliche Fall. Was ist mit homosexuellen oder mit asexuellen Menschen, die keine geschlechtliche Begegnung wünschen oder benötigen? Soll die Formulierung „dass sie nur gemeinsam ‚Menschsein‘ verkörpern“ wirklich bedeuten, dass nur ein Paar aus Mann und Frau gemeinsam „Mensch“ ist? Das würde alle alleinlebenden Menschen, die aus welchen Gründen auch immer keine partnerschaftliche Begegnung verwirklichen, ausschließen, ebenso alle gleichgeschlechtlichen Paare. Homosexuelle Beziehungen wären dann alles Mögliche, aber nicht „Menschsein“ im Sinne dieser Auslegung. (3) Gleiches gilt für die Vermutung, sie könnten nur „zusammen“ Gottes Statue sein. Eine solche Eintragung heteronormativer Vereinseitigungen auf den statistischen Häufigkeitsfall von Mann-Frau-Beziehungen in den Text überfordert diesen. Die Begeisterung über die Wertschätzung der geschlechtlichen Beziehung von Mann und Frau ist anzuerkennen, sollte aber nicht zu solch einseitigen Formulierungen führen.

Versuch einer queer-integrierenden Auslegung

Eine queer-integrierende Auslegung bemüht sich, in den Auslegungen des Textes dessen denkerische Weite begrifflich zu fassen und darauf zu achten, dass nicht bestimmte Menschengruppen (unbewusst) ausgeschlossen werden.

Gott erschuf „den Menschen als sein Bild“ – das gilt einschränkungslos und unabhängig von geschlechtlicher oder sexueller Identität. Eine innerbiblische Konsequenz daraus ist, dass es keine unterschiedliche Bewertung der Tötung eines Mannes oder einer Frau gibt (vgl. Gen 9,5–6). Neutraler formuliert, könnte man sagen, dass die geschlechtliche Identität eines Menschen keine Rolle dafür spielt, in welchem Maße dessen eventuelle Tötung durch einen Menschen oder ein Tier zu bewerten ist – in jedem Fall ist ein Abbild Gottes betroffen. An diesem Krisenfall zeigt sich der Kern der biblischen Anthropologie: Es gibt keine wertende Differenzierung der Menschen nach Geschlecht, geographischer Herkunft, Hautfarbe, Körperbau, sozialer Stellung oder anderer natürlich oder kulturell bedingter Unterschiede. Die einzig nennenswerte Differenzierung, die jedoch gerade keine Wertung oder Rangfolge impliziert, ist die nach männlichen und weiblichen Exemplaren. Dabei hält J.C. Gertz vorsichtig fest: „Männlich (zākār) und weiblich (neqēbā) sind biologische Begriffe, die entsprechend auch auf die Tiere angewendet werden (vgl. Gen 6,19; 7,16 P). Die verbreitete Übersetzung mit ‚Mann‘ und ‚Frau‘ hat dagegen auch das soziale Geschlecht (engl. ‚gender‘) vor Augen, was nicht vorschnell als dominierende Lesart in den Text eingetragen werden sollte.“

Da auch die griechische Übersetzung (Septuaginta) die Adjektive beibehält, sollten moderne Übersetzungen dem folgen. Die Adjektive zeigen eine größere Offenheit als das Substantivpaar „Mann und Frau“, das eine einseitige binäre und heteronormative Engführung nahelegt. Die urgeschichtlichen Texte des Buches Genesis zeigen ein breiteres Denken als spätere innerbiblische und v. a. auch außerbiblische Interpretationen, die die anthropologischen Grundaussagen kulturell bedingt auf die jeweilige Zeit einschränken, an gesellschaftlich vorgegebene Normen anpassen bzw. überhaupt erst zu Normen stilisieren. Insofern ist die Rückbesinnung auf das, was im Ausgangstext genau steht, unabdingbar, wenn man nicht zum Opfer einer verengenden Auslegungsgeschichte werden will. J. C. Gertz schreibt dazu: „Die bleibende Bedeutung des Textes zeigt sich schließlich dort, wo in der (innerbiblischen) Wirkungsgeschichte sein theologisches Niveau mit entsprechenden theologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen weit unterschritten wird. Dies gilt insbesondere für die exegetisch unhaltbare Einengung der Gottesebenbildlichkeit auf den Mann (1 Kor 11,7)“

Die Adjektive in Gen 1,27 stehen in einem größeren Zusammenhang, in dem jeweils zwei Pole ein größeres Ganzes bezeichnen (Merismus). Wenn Gott das Licht von der Finsternis scheidet und als Tag und Nacht benennt (Gen 1,3–5), so schließt das ein, dass auch die Dämmerung Gottes Werk ist. Ebenso macht Gott das Trockene (Land) und das Meer – was die Existenz und Gottgewolltheit des Wattenmeers einschließt. Irmtraud Fischer hat auf die Stilfigur des Merismus hingewiesen und schlussfolgert für die Adjektive in Gen 1,27: „Damit kann man den Text nicht so deuten, dass ausschließlich Männliches und Weibliches und ausschließlich heterosexuelle Orientierung erschaffen worden wären und damit nur diese geschlechtlichen Seinsweisen natur- und gottgegeben seien. Diese Stilfigur verweist vielmehr darauf, dass alle Facetten des Geschlechtlichen im Schöpfungsdesign enthalten … sind.“

Eine queer-integrierende Bibelauslegung vertritt die Grundposition, dass von der Binarität und Heteronormativität abweichende sexuelle und geschlechtliche Identitäten keine Krankheit, keine Sünde und keine böse, willkürliche und falsche Entscheidung von fehlgeleiteten Menschen sind, sondern Normvarianten, die damit zu Gottes Schöpfung integral dazugehören. Daher muss die Bibelauslegung Menschen, die so empfinden, mit einbeziehen („integrieren“). Kommentierende und auslegende Formulierungen dürfen keinen heteronormativen, binären Sprachgebrauch in den Text eintragen, damit queere Menschen nicht unbewusst (oder bewusst?) ausgegrenzt werden. Das gilt insbesondere für die grundlegenden Texte der Urgeschichte und ihre Rede vom Menschen.

Ein Beispiel queer-integrierender Formulierung ist eine Auslegung zu Gen 2,21–25 aus dem Jahr 2025: Im zweiten Schöpfungstext bildet Gott aus dem ersten Menschenwesen (nicht: Mann!) eine Frau, und der Rest bleibt als Mann. „Nur ein menschlicher Partner vermag echte Gemeinschaft zu schenken.“ Diese Schlussfolgerung trifft das Anliegen des Textes genau, denn es geht um die Abhilfe gegen das Allein-Sein. Die Formulierung ist offen genug, um gleichgeschlechtliche Paare und non-binäre Menschen mit ihren Partnerschaften zu integrieren.

Gen 5,2 als zweites Beispiel

Gen 1,27 begegnet in abgewandelter Form erneut in Gen 5,1–3. 1 Dies ist das Buch der Geschlechterfolge Adams: Am Tag, da Gott den Menschen erschuf, machte er ihn Gott ähnlich. 2 Männlich und weiblich erschuf er sie, er segnete sie und gab ihnen den Namen Mensch an dem Tag, da sie erschaffen wurden. 3 Adam war hundertdreißig Jahre alt, da zeugte er einen Sohn, der ihm ähnlich war, wie sein Bild, und gab ihm den Namen Set.

Gen 5 greift Gen 1 auf, um klarzustellen, wie der Herrschaftsauftrag und vor allem die Gottesbildlichkeit und Gottähnlichkeit an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden. Die Stichworte „ähnlich“, „Bild“ sowie „männlich und weiblich“ werden wiederholt und mit dem Segen sowie der Namensgebung „Mensch“ verbunden. Somit sind alle im Spektrum von männlich bis weiblich „Menschen“ und „Gesegnete“. Es geht um die Einheit und Gleichheit aller Vertreter:innen des Menschengeschlechts. Die Weitergabe von Generation zu Generation durch die Zeit erfolgt durch Zeugung (und Geburt!): „Vermittelt durch die Generationenkette haben alle Menschen Anteil an der Gottebenbildlichkeit des ersten Menschenpaares bzw. der Gattung Mensch. Die Gottebenbildlichkeit pflanzt sich fort; bei den künftigen Generationen muss dies nicht eigens vermerkt werden“.

Das Adjektiv „weiblich“ in Gen 5,2 verhindert dabei, dass die Gottesbildlichkeit auf den Mann allein verengt werden könnte. Die Rede von „zeugte einen Sohn“ muss im Lektürevorgang dadurch ergänzt werden, dass dieser Sohn auch von einer Frau geboren wurde. Die vorliegende Textsorte der patrilinealen Genealogie spricht hauptsächlich von Zeugungen, um die genealogische Linie voranzubringen. Das bedeutet nicht, dass Fruchtbarkeit (Nachkommen zeugen und gebären) der einzige Zweck menschlicher Sexualität sei. Vielmehr steht in Gen 5,1–3 ein anderer Aspekt im Vordergrund: Gottähnlichkeit und Gottesbildlichkeit werden durch Zeugung und Geburt weitergegeben, nicht durch irgendeine Mitgliedschaft (Volk, Staat) oder durch den Zuspruch einer Institution (Partei, Kirche). Mithin können diese Zusagen Gottes (Segen, Ähnlichkeit, Gottesrepräsentanz) auch nicht von menschlichen Instanzen abgesprochen oder entzogen werden oder vom Menschen selbst verwirkt werden. In säkularer Sprache wird dies „Menschenwürde“ genannt und z. B. vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland im ersten Artikel des Grundgesetzes geschützt.

Queer-integrierende Auslegung und vorläufiges Fazit

Wenn „männlich“ und „weiblich“ als Adjektive ein Spektrum aufspannen und nicht „kategorial“ bzw. „binär“ zu verstehen sind, sondern „dimensional“ und „bipolar“, dann sind alle Menschen, unabhängig davon, wo sie sich in diesem Spektrum einordnen, „Mensch“ – überhaupt und auch in der Bibel. Das gilt trotz einer bis heute anhaltenden einengenden Auslegungsgeschichte. Queere Menschen sind Geschöpfe Gottes, so geschaffen und so benannt: „Mensch“. Eine aus heteronormativer Position formulierte Ausgrenzung, und sei sie noch so subtil, ist mit der Bibel nicht zu rechtfertigen. Das heißt auch, dass bestimmte religiöse Gemeinschaften an der Formulierung ihrer Lehre in diesem Bereich noch arbeiten müssen.

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