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Leseprobe 2 DOI: 10.14623/wua.2021.2.59-64
Thomas Hoppe
Tapferkeit im Kontext militärisch-politischen Handelns
Wenn die Rede von ‚Tapferkeit‘ ist, wird mit diesem Tugendwort eine Haltung bezeichnet, die sich in Handlungen zeigt, deren ethische Vertretbarkeit außer Zweifel steht. Außerhalb eines solchen Handlungskontextes lässt sich das Wort nicht sinnvoll verwenden.

Rechenschaft ablegen

‚Tapferkeit‘ meint nicht etwas, was man als ‚Sekundärtugend‘ ansehen könnte, d. h. als ein Verhaltensmuster, das ethisch neutral erscheint und erst von der Zielsetzung der Handlung selbst her eine sittliche Bewertung erfahren könnte. Aus diesem Grunde ist es auch nicht möglich, etwa in der Weise, wie militärische Traditionen gepflegt werden, militärisches Handeln im engeren Sinn von den politischen Absichten und Zwecksetzungen zu trennen, für welche es in Dienst genommen wurde. Erst sobald man diesen politisch-strategischen Kontext mit bedenkt, kann vielmehr die moralische Fragwürdigkeit dessen erkennbar werden, was unter einem reduktionistischen Blickwinkel als militärfachlich richtig und möglicherweise sogar vorbildlich betrachtet werden mag.

Als tapfer im Sinne dieses Tugendwortes lässt sich nur eine Handlung bezeichnen, über deren moralischen Charakter sich der Handelnde reflexiv Rechenschaft abgegeben hat: Darf ich so handeln, wie es von mir erwartet wird? Oder riskiere ich, damit nur Rädchen im Getriebe einer Gewaltmaschinerie zu werden, deren Ziele und Methoden ich niemals billigen kann? Das war das Gewissensproblem, vor das sich nicht wenige Soldaten gestellt sahen, die im Zweiten Weltkrieg auf deutscher Seite kämpften: Dass in diesem Krieg sowohl die Ziele wie die Methoden verbrecherischer Art waren, wurde für die meisten mehr oder weniger rasch sichtbar, wie sich nicht zuletzt an den Briefen ablesen lässt, die sie Freunden und Verwandten schrieben.

Ethische Vertretbarkeit


Tapfer ist daher nur ein Handeln, das auf einer mit hinreichender Klarheit gewonnenen Einsicht in die ethische Vertretbarkeit der in Rede stehenden Handlung selbst beruht und diese entschlossen verwirklicht. Dabei kann es unterschiedliche Gründe dafür geben, dass in der Verfolgung dieser Absicht ein hohes Maß an Angst überwunden werden muss. Diese Angst kann zum einen aus den physischen Umständen der Handlung resultieren, wie sie überall herrschen, wo ein Einsatz mit Lebensgefahr verbunden ist. Sie wird verstärkt, wo das Risiko, das eigene Leben zu verlieren oder schwere und dauerhafte gesundheitliche Schädigungen zu erleiden, als signifikant hoch einzuschätzen ist.

Für solche Angst kann es aber auch andere, nicht weniger wirksame und handlungshemmende Faktoren geben: Ein entschlossenes Handeln zur Verwirklichung eines für ethisch nicht nur zulässig, sondern geboten zu haltenden Ziels – etwa demjenigen, einen Massenmörder an weiterem Morden zu hindern – muss damit rechnen, dass diejenigen, die für das Morden verantwortlich sind, alles tun werden, um ihr entgegengesetztes Ziel auch weiterhin verfolgen zu können. Das kann so weit gehen, dass sie hierzu Mittel einsetzen, die nicht nur skrupellos und verbrecherisch sind, sondern zudem bizarr und als Zeichen von Realitätsverlust anmuten. So war es für den organisatorisch Verantwortlichen für die Fahrt der Deportationszüge in die Vernichtungslager, Adolf Eichmann, noch in den letzten Kriegsmonaten das oberste Ziel, dass es bei diesen Fahrten nicht zu Verzögerungen kam. Täter, die so agieren, wollen sich nicht aufhalten lassen und schaffen sich die apparativen Voraussetzungen dafür, dass die Situation äußerst schwierig und persönlich gefahrvoll für jeden wird, der sich ihnen entgegenzustellen wagt. Tapfer zu sein bedeutet unter solchen Umständen vor allem, mit den eigenen, nur zu gut begründeten Ängsten umgehen zu lernen, sie so weit zu beherrschen zu suchen, dass sie nicht zu Handlungsunfähigkeit oder aber dazu führen, dass schwerwiegende Fehler unterlaufen.

Zu Dietrich Bonhoeffer

Bereits der Entschluss, einem Verbrecher in den Arm zu fallen, kann daher ein bedeutenden Maß an Mut und Tapferkeit erfordern, die umso mehr die moralischen Ressourcen der Handelnden beanspruchen, je länger sich die Gefahrensituation hinzieht, in die sie sich aus den genannten schwerwiegenden Gründen begeben. Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer, der dem Widerstand gegen das NS-Regime angehörte und dadurch die Bedingungen eines Lebens in ständiger Bedrohtheit jahrelang selbst erfuhr, notierte in einem Text, der kurz vor seiner Verhaftung im Frühjahr 1943 entstand, seine innere Reaktion darauf und die damit einher gehenden Zweifel:

„Nicht Genies, nicht Zyniker, nicht Menschenverächter, nicht raffinierte Taktiker, sondern schlichte, einfache, gerade Menschen werden wir brauchen. Wird unsere innere Widerstandskraft gegen das uns Aufgezwungene stark genug und unsere Aufrichtigkeit gegen uns selbst schonungslos genug geblieben sein, dass wir den Weg zur Schlichtheit und Geradheit wiederfinden?“

Bonhoeffer hatte in dieser Passage vor allem die psychische Belastung durch die aufgezwungenen Umstände vor Augen, die ein Handeln entsprechend dem eigenen Gewissensurteil mit existenzieller Gefährdung nicht nur für den Handelnden selbst, sondern auch für Dritte, die durch die Folgen dieses Handelns direkt oder indirekt betroffen sein können, verbinden. Sie verändern die innere Konstitution des Akteurs selbst – auch wenn er an diesen Umständen nicht zerbricht, wird bleibend sein Blick auf die ihn umgebende Welt und die darin begegnenden Menschen ein anderer. Er wird, auf je individuelle Weise, zum Blick einer/eines Überlebenden auf die nun unverstellte Realität menschlicher Handlungsmöglichkeiten und ihrer Abgründe. Deswegen ist es nicht möglich, in der eigenen mentalen Disposition dort wieder anzuknüpfen, wo man sich befand, bevor die Situation dieser existenziellen Gefährdung erfahren wurde. Es erfordert nun vielmehr eine weitere, andersartige Stufe von Tapferkeit, in einer Welt weiterzuleben, von der bisherige Illusionen über das, was in ihr real möglich ist und stattfindet, fortgewischt wurden. [...]


Lesen Sie den kompletten Artikel in der Printausgabe.

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