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Stichwort DOI: 10.14623/wua.2017.3.98-100
Phillip Wüschner
Mut zur Demut
Demut als „Gesinnung eines Dienenden“ oder gar als „dienstbarer Mut“ (diomuoti: ahd. dienstwillig) kommt heute im säkularen Haltungs- und Gefühlsrepertoire, da wir Dienst eigentlich nur noch als Dienstleistung verstehen, kaum mehr vor. In einer Gesellschaft, die ihre politischen und sozialen Bemühungen auf Selbständigkeit, empowerment, Handlungsmacht (agency) und andere emanzipatorische Konzepte richtet, wird der Wille zum Dienst (anders als der zur Arbeit) wenn überhaupt nur mit Nietzsche als „Sklavenmoral“ verständlich und bleibt grundsätzlich verdächtig. Auch Weltanschauungen, die das Dienen mit einem Versprechen auf Befreiung, Stolz oder gar Erlösung verbinden, stehen unter erhöhtem Druck, falls sie nicht von vornherein ignoriert werden. Reklamiert etwa eine Person für sich Demut in einem programmatischen Sinne wie beispielsweise Angela Merkel angesichts ihrer Nominierung zur Kanzlerkandidatin im Mai 2005 („Ich will Deutschland dienen“), so wird es schnell unfreiwillig komisch.

Jahrzehnte politischer Bemühung, soziale Hierarchien zu verflachen und asymmetrische Machtbeziehung abzubauen, zeigen so ihre Nebenwirkungen im Verschwinden von jenen Affektmustern, die diese asymmetrischen Beziehungen stabilisierten, aber auch lebbar gestalteten. Demut gehört damit zu einem ganzen Register von ehr- und schamverwandten Emotionen oder Haltungen (darunter auch Autorität, Achtung, Verehrung und Bewunderung), deren ideologische, soziale, aber auch religiöse Grundlagen im Alltag kaum mehr gegeben sind, und deren Wiederbelebung oder Rückkehr unwahrscheinlich erscheint. Ungeachtet dieses psycho-historischen Wandels bleibt das Problem der Demut, nämlich ein Leben im Angesicht von etwas Größerem zu führen, bestehen. Zu verstehen, welche neuen Gemütslagen oder gar Formen des Mutes es dafür auszubilden gilt, ist also eine Aufgabe mit spiritueller, ökonomischer, ethischer und vor allem auch politischer Dimension.

Haltung und Existenz

Demut wird von der deutschen Sprache etymologisch als eine Form des ‚Muts‘ bestimmt. Dessen indogermanischen Wurzeln verweisen auf Phänomene von ‚Mühe‘, ‚Kraft‘, ‚Zorn‘, ‚Wille‘, aber auch auf ‚Sinn‘ und ‚Geist‘; das heißt auf all das, was im Deutschen gemeint wird, wenn einem irgendwie zumute ist. Damit ist im Ursprung des Wortes derjenige Bereich der menschlichen Existenz angesprochen, den die Antike mit psychê oder anima beschreibt. Als Luther die humilitas mit Demut übersetzt, überträgt er damit gleichzeitig ein Faktum der menschlichen Existenz – seine irdische Niedrigkeit (von lat. humus, die Erde) – in eine Seelenhaltung zu diesem Faktum. Demut ist damit nicht weniger als eine bestimmte affektive Verortung des eigenen Daseins im Vergleich zum absolut Großen, die sich als Haltung ausdrückt.

Als Haltung hat Demut Anteil sowohl an der Erkenntnis (Einsicht in die eigene Unbedeutendheit) als auch an der Regulation von Gefühlen (der Kränkung, der Depression, der Ohnmacht, des Gegenzorns). Das, was vom Denken nur abstrakt erfasst werden kann, muss in der Haltung der Demut ausgehalten und affektiv vollzogen werden. So kann Demut zum Beispiel einen Ausweg aus den Demütigungen des Schicksals (durch vorweggenommene Akzeptanz der eigenen Nichtigkeit) eröffnen; sie erleichtert das Ertragen von Unterdrückung, weil die demütige Person sich selbst an einer Macht misst, vor der alle Hierarchien irrelevant werden; sie antwortet aber auch auf Autorität, indem sie sie anerkennt; sie kann dabei mit Formen von Humor oder Selbstironie einhergehen oder einen Zug ins Pietistische nehmen; sie soll der eigenen Überheblichkeit entgegenarbeiten; sie kann Quelle des Trostes sein und die Wertschätzung des Geringen und Alltäglichen sowie des eigenen Lebens befördern, kann aber auch in einen nicht unproblematischen Sünderstolz übergleiten. Im besten Fall macht Demut frei, um zu bewundern und zu verehren, was über einen hinausgeht, im schlimmsten Fall wandelt sie sich in Ressentiment oder falsche Unterwürfigkeit.

Wenn Luther die Verortung der eigenen, irdischen Existenz zu einer Haltung des Gemüts macht, dann wiederholt er freilich das antike Verständnis der Tugendethiken. Gleichwohl markiert die christliche Tradition gerade in der Demut eine radikale Abkehr vom antiken Denken. Für die Griechen bedeutete die Verortung ihrer Existenz ebenfalls eine Auseinandersetzung mit der eigenen Wichtigkeit und Größe. Da unter ihnen der Glaube an ein unbedingt Großes jedoch nicht ausgeprägt war, erschien ihnen übertriebene Demut eher als Laster, dem sie die megalopsychia, das heißt den Hoch(ge)mut, als Tugend des Selbstwertgefühls und der Selbstachtung entgegensetzten. [...]


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