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Leseprobe 2
Phillip Wüschner
Szenen prekärer Sichtbarkeit
Medienphilosophische Überlegungen zur Transparenz
Transparenz hat heute viele Opfer. Unparteiisch bis zur Wahllosigkeit bringt sie Institutionen und Personen des öffentlichen Lebens zu Fall, ohne einen Unterschied zu machen zwischen Präsidenten, Kirchenhäuptern oder Geheimdiensten. Eben ihre Fähigkeit um- und anstandslos alles zu skandalisieren, verschafft ihr Zuspruch wie Kritik. Ob als vertrauensschaffendes Mittel des Korruptionsabbaus oder als Kontrollphantasma – die Forderung nach Transparenz hat sich mit den Möglichkeiten der heutigen Medien zu einem Zustand irrsinniger Sichtbarkeit verschmolzen. Ein Zustand, der gemeinhin Post-Privacy genannt wird, und der die völlige Verkehrung von Öffentlichkeit und Privatheit beschreibt. Post-Privacy, so die Kritiker, markiere damit das Ende einer Entwicklung, die mit Richard Sennett als Tyrannei der Intimität bezeichnet werden kann. Aber Verdammung wie auch Lob der Transparenz schießen einseitig am Problem vorbei, das weniger in einer Kritik des Sichtbaren als in der Kritik des Unsichtbaren zu suchen ist.

Bäume und Wald – Die Dynamik von Transparenz und Vertrauen


Von Kritikern beklagt, wie von Befürwortern eingestanden, eignet der Transparenz eine sich beschleunigende Dynamik. Sichtbarkeit zieht den Wunsch nach immer noch mehr Sichtbarkeit nach sich. Das, was es zu sehen gibt, ist nicht nur eine nachwachsende, sondern eine inflationäre Ressource – die gleichwohl nicht zu mehr Wissen führt, sondern seltsamerweise gerade zu mehr Unwissen und Unsicherheit. Den dahinterliegenden Mechanismus hat der Soziologie Niklas Luhmann einmal als das Paradox der Komplexitätsreduktion beschrieben. Der von Luhmann gezeichnete Teufelskreis folgt einer einfachen Logik: Die Intransparenz komplexer Systeme – es mögen Finanzmärkte, das eigene Gefühlsleben oder internationale Beziehungen sein – verunsichern den Menschen. Nun können Rating-Agenturen, Therapeuten oder Diplomaten beauftragt werden, Transparenz in diese Systeme zu bringen, aber diese Instanzen können Intransparenz stets nur selektiv beseitigen. Genau diese Selektion führt dazu, dass sich die einst formlose Menge des Unwissens zu konkreten Risiken wandelt, das heißt in latentes Unwissen, von dem man weiß, dass man es nicht weiß. Unwissen manifestiert sich so zu Misstrauen – als Verdacht von Bestechlichkeit, Verdrängung von Gefühlen, als Verschwörungstheorie – und Misstrauen verlangt nach weiterer Transparenz.

Ein Beispiel: Rating-Agenturen, die Geschäftsmodelle von Banken durch Bewertung transparenter gestalten sollen, geraten ihrerseits in den Verdacht der Intrans parenz und Käuflichkeit. Dies weckt den Ruf nach Instanzen zur Beobachtung der Beobachter. Deren Legitimität, das heißt Neutralität, kann aber wiederum nicht ohne Risiko des Missbrauchs vorausgesetzt werden. Ist das Systemvertrauen auf diese Weise erst erodiert, wächst sich diese Dynamik der Transparenz entweder zum infiniten bürokratischen Regress immer höherer Kontroll-Instanzen aus, oder wird zirkulär, wenn die Verantwortung dem Verbraucher zurückgegeben wird. Oder aber das System kollabiert im Chaos. Ein Erkenntniswunsch, der nicht von Systemvertrauen gebremst wird, so Luhmann, ist dazu verurteilt, sich schließlich im Dunkeln zu verlaufen. Dieses Dunkel jedoch, in dem wir den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen, erweist sich bei genauerer Analyse als das Ergebnis einer Blendung, eines Zuviel an Licht und Information, als das, was in der Medientechnik gemeinhin als Rauschen bezeichnet wird. Das Problem am Rauschen aber ist nicht Transparenz per se, sondern ihre übertriebene Entdifferenzierung.

Schleier – Die Gegenwendigkeit von Transparenz und Opazität

Es mag ein zynischer, wenngleich wahrer Punkt sein: Wenn alle nackt sind, kann auch niemand mehr bloßgestellt werden.

Kritiker wie Befürworter der Transparenz gehen von einem Zustand aus, den sie von vornherein einseitig, nämlich als totale Transparenz, konzeptualisieren, dabei übersehen sie, dass die wesentlich mediale Funktion von Transparenz eine Totalisierung der Sichtbarkeit gerade unterläuft und eine doppelte Kritik der Unsichtbarkeit auf den Plan ruft.

Erstens: Entgegen dem Sprachgebrauch sind nicht Objekte transparent, sondern das, wodurch wir diese Objekte betrachten; nicht, was wir sehen, sondern das, was immer auch stückweise der Sichtbarkeit entzieht wie ein Schleier, beschreibt der aus der Optik stammende Begriff der Transparenz. In der Metapherngeschichte steht der Schleier daher sowohl für Trug und Trübung, als auch für die Notwendigkeit von Verhüllung des Unerträglichen – sowie für das erotische Wechselspiel von beidem. Der Schleier gibt den Blick frei, wovor wir sonst beschämt die Augen senken müssten. Das erste, was wir also aus der medienphilosophischen Perspektive über Transparenz lernen, ist, dass Opazität und Transparenz nicht Gegensätze, sondern Ausdrücke ein und derselben Eigenschaft mit unterschiedlichen Vorzeichen sind: Medien sind in dem Maße opak, in dem sie nicht transparent sind – und umgekehrt. [...]


Lesen Sie den kompletten Artikel in der Printausgabe.

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